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Olympia-Splitter II: Sportler und die Menschenrechte

 

Claudia Pechstein legte sich nach dem Zieleinlauf erschöpft auf eine Bank. Sie war ihr 3000-Meter-Rennen zu schnell angegangen. Ungewöhnlich für die erfahrene Athletin. So verpasste die fast 42-Jährige um einen Platz die Medaillenränge. Pechsteins Auftritt in Sotschi erreicht viel Aufmerksamkeit, ist sie doch die erfolgreichste Wintersportlerin der deutschen Olympia-Geschichte.

Weil das ZDF am Sonntag übertrug, sah man Pechstein im Fernsehen beim Interview. Den Kollegen von der ARD gibt sie selten bis gar keine Interviews. Die waren zu kritisch. Pechstein ist vor gut vier Jahren wahrscheinlich zu Unrecht wegen Dopings gesperrt worden. Doch ob sie wirklich immer sauber war, daran darf man zweifeln.

Es gewann die Holländerin Ireen Wüst, die Favoritin. Ein besonderes Detail: Sie ist bisexuell. Das ist ja eigentlich egal, aber natürlich auch nicht. Bei diesen Spielen (und nicht nur bei diesen) ist das auch ein politisches, ein juristisches Thema. Natürlich nicht bei unseren Nachbarn, die Niederlande gelten als eins der liberalsten Länder in Bezug auf die Rechte von Homosexuellen und deren Gleichstellung. Aber im Putinland sei dieser Hinweis gestattet.

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Wenn es eine Königsdisziplin bei den Winterspielen gibt, dann ist es das Abfahrtsrennen im Ski Alpin – sowas wie das 100-Meter-Rennen des Winters. Am Sonntag waren die Männer dran. Es gewann: ein Österreicher. Das klingt nicht überraschend, ist es aber. Matthias Mayer hatte vorher nicht zu den Favoriten gezählt, im Weltcup hat er es bislang nur zwei Mal aufs Podest geschafft, jeweils Rang 2 im Super-G, nie in der Abfahrt. In Rosa Chutor, dem Potemkischen Dorf, wohin Putin zum Skifahren bestellt, war der Kärntner aber als Erster unten (also im übertragenen Sinn, denn die fahren ja nicht gleichzeitig runter). Andere Begriffe für Rosa Chutor: Disneyland, Lindenstraße.

© Facebook
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Man hatte eher mit dem Norweger Aksel Lund Svindal und dem Amerikaner Bode Miller gerechnet. Doch die blieben ohne Medaillen. Für den Pistenteufel Miller, den vermutlich bekanntesten aktiven Skifahrer der Welt, werden es wahrscheinlich seine letzten Spiele sein.

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Einen lesenswerten Beitrag entnehmen wir dem Blog von Jens Weinreich, dem Sportjournalisten des Jahres 2013. Er befasst sich mit der Frage, ob sich Sportler politisch äußern sollen. „Das sind natürlich keine jungfräulichen Themen und Fragen, sondern Dauerbrenner. Derlei Fragen werden diskutiert, seit es Olympische Spiele gibt“, schreibt Weinreich und referiert wichtige Beispiele. Die bekanntesten sind Cathy Freeman, die Aborigine und Goldmedaillengewinnerin über 400 Meter von Sydney 2000, und Tommie Smith, der nach seinem Olympiasieg in Mexiko Stadt 1968 gemeinsam mit John Carlos die schwarzbehandschuhte Faust streckte. Das Symbol der antirassistischen Black-Power-Bewegung.

Ein aktuelleres Beispiel: Der amerikanische Mittelstreckenläufer Nick Symmonds widmete während der Leichtathletik-WM in Moskau 2013 seine Silbermedaille seinen lesbischen und schwulen Freunden. Weinreich zitiert Symmonds, der sagte, er sei „keine seelenlose Maschine, die nur Training und Medaillenziele im Kopf habe“.

Ich habe über die deutsche Fahnenträgerin Maria Höfl-Riesch geschrieben, dass man von ihr wohl keine „politische“ Äußerung hören wird. Ich kann mich Weinreich nur anschließen. Ich verlange gar nicht, dass sich Sportler äußern, und kritisiere auch nicht, wenn sie es nicht tun. Schön fände ich es freilich, wenn sich Sportler mündig geben. Erst recht, wenn sie das dritte Lebensjahrzehnt fast vollendet haben und erst recht, wenn sie die deutsche Fahne tragen. Bei Weinreich heißt es: „Man muss kein Held sein, um für Menschenrechte einzustehen. Nur Mensch. Das gilt auch für Sportler.“

Das Zitat war mir noch im Kopf, als Gerhard Schröder gestern im Beisein des IOC-Präsidenten Thomas Bach im Fernsehen sagte, man solle politischen Konflikte nicht auf dem Rücken von Sportlern austragen. Nichts verstanden, kann ich dazu nur sagen. Wenn jemand etwas auf dem Rücken von Sportlern austrägt, dann das IOC. Traurig, welches Bild der Putin-Buddy Schröder abgibt. Hätte ich 98 doch nur Kohl gewählt.

Siehe dazu auch: „Es gibt niemanden, der seine rigorosen Kommerzinteressen rücksichtsloser auf dem Rücken der Athleten austrägt, als das IOC“, sagt Thomas Kistner, Sportpolitikexperte der SZ, dem Deutschlandfunk.

Ein paar Leseempfehlungen

    Im Economist der Vorwoche finden wir zwei gute Recherchen über die politische Bedeutung Sotschis für Putin und die wirtschafltichen Nachteile, die die Autokratie Putins für Russland nach sich zieht. Wussten Sie, dass sich Putin (angeblich) Juri Andropow, das sowjetische Staatsoberhaupt von 1983 bis 1984, zum Vorbild genommen hat?

    Auf der Website von Play the Game, einer Art Sportpolitik-NGO aus Dänemark, berechnet der holländische Sporthistoriker Jurryt van de Vooren die Kosten der Spiele 2014. Danach sei das Budget von Sotschi höher als alle Winterspiele von 1924 (Premiere in Chamonix) bis 2010 zusammen. An gleicher Stelle fordert der Leiter von Play the Game, Jens Sejer Andersen, die Olympischen Spiele wieder kleiner und handlicher zu machen.

    Auf der amerikansichen Nachrichtenseite dailybeast vergleicht der ehemalige Schachweltmeister und politische Oppositionelle Garry Kasparov die Spiele von 2014 mit denen von 1936: Titel: „Die Liebesgeschichte zwischen Diktatoren und Olympischen Spielen“. Hitler-Vergleiche sind gemäß Godwins Gesetz unausweichlich. Deswegen sind sie aber noch nicht immer falsch. Und, bevor jetzt die geschätzten Kremltrolle wieder aktiv werden: Vergleichen ist etwas anderes als Gleichsetzen. Vergleichen heißt mitunter: Unterscheiden.

    In St. Petersburg, erfahren wir von Human Rights Watch, wurde während der Eröffnungsfeier die russische Menschenrechtlerin Anastasia Smirnova festgenommen. Sie wollte ein olympiakritisches Banner fotografieren. Kurz später ereilte zehn homosexuelle Aktivistinnen und Aktivisten das gleiche Schicksal. Sie hielten eine Regenbogenflagge hoch und sangen am Roten Platz in Moskau die russische Nationalhymne.