Eine Woche vor den Olympischen Spielen gab Thomas de Maizière der Süddeutschen Zeitung ein völlig nichtssagendes Interview. Egal, worauf das Thema kam, ob Menschenrechte, Sportförderung oder Sportpolitik – der deutsche Innenminister wich aus, als wäre er Sprecher von Radio Eriwan.
Am Wochenende haben wir einen anderen de Maizière erlebt. Beim Besuch im Deutschen Haus in Sotschi kritisierte er die lange Haftstrafe für den russischen Olympiakritiker Jewgenij Witischko, stellte die Steuerzahlungen an den deutschen Sport in Frage und verglich die Stimmung an Sotschis Wettkampfstätten mit denen in Vancouver und London – zu Ungunsten Sotschis.
Seine unerwartet deutlichen Worte fasste er in einem Gruß an den Gastgeber zusammen. Wer sich um Olympische Spiele bewerbe und sie dann bekomme, hat de Maizière auch gesagt, müsse Kritik aushalten. „Wer das nicht möchte, soll sich nicht bewerben.“
De Maizière sagte auch: „Ich habe über die Probleme in Russland auf den Sportseiten der Zeitungen in der letzten Zeit mehr gelesen als in den Wirtschaftsteilen.“ Heißt: An die deutsche Wirtschaft könnten wegen ihres Handels mit Russland auch ein paar Fragen gestellt werden, nicht nur den Sportorganisationen.
Deutsche Unternehmen haben gut verdient an Sotschi. Ein paar Fakten: Mehr als siebzig haben Aufträge im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen erhalten, zählt der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer geht sogar von über hundert aus. Das Auftragsvolumen beträgt Schätzungen zufolge gesamt 1,5 Milliarden Euro.
Den Großteil hat Siemens abbekommen, nämlich 800 Millionen Euro. Rund vierzig Züge hat Siemens größtenteils per Schiff nach Sotschi transportiert. Volkswagen hat die offiziellen Olympiafahrzeuge hergestellt. Auch bei der Bob- und Rodelbahn, dem Eislaufstadion und der Sprungschanze waren deutsche Ingenieure beteiligt. Der Hafen in Sotschi und der Flughafen in Adler wurden von Deutschen mit- oder ausgebaut. Deutsche Hersteller verkauften Sportgeräte und Kleidung, Zelte und riesige Waschmaschinen für die Hotelgäste. Das Dach des Olympiastadions, das flexibel auf Lichteinstrahlung reagiert, hat die Bremer Firma Vector Foiltec entworfen.
Eckhard Cordes, der Chef des Ost-Ausschusses, kritisiert das, aber aus einem anderen Grund: „Man sollte das nicht überbewerten. Zuletzt betrug das Handelsvolumen mit Russland insgesamt rund 80 Milliarden Euro im Jahr. Auch das klingt hoch, aber es könnte und sollte noch höher sein. Hier schöpfen beide Seiten ihre Potenziale noch lange nicht aus.“
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Ein Vergleich: Die Wirtschaft des viel kleineren Österreichs verzeichnete durch Sotschi Investitionen von 1,3 Milliarden Euro. Das geht aus einem Bericht des aktuellen Spiegel hervor. Seilbahnen, Schneekanonen, Startnummern – nur ein paar Beispiele für österreichische Wertarbeit.
Das Auftreten der rot-weißen Delegation ist davon geprägt. „Österreichs Skifahrer sind Teil einer Image-Kampagne. Die Medaillen, die sie gewinnen, sollen russische Touristen anlocken“, schreibt der Spiegel. Die Deutschen hingegen zählten nur die Medaillen. Die Österreicher machten damit Werbung, heißt es. Für das Après-Ski wohl
Kein Wunder, dass das Tirol-Haus das Party-Zentrum der Spiele sein soll. Abfahrt-Olympiasieger Matthias Meyer trägt auf einem Bild im Spiegel am Oberkörper nur seine Goldmedaille. „Die meisten deutschen Sportler, Trainer und Funktionäre wären wahrscheinlich lieber woanders hingefahren, die Österreicher fühlen sich in Sotschi pudelwohl.“
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Einen guten Schnitt haben beim Sotschi-Business auch die Freunde Wladimir Putins gemacht. „Die neuen Oligarchen, Putins Freunde, sind durch Sotschi sehr viel reicher geworden“, schreibt Markus Wehner, politischer Korrespondent der FAZ, in der Sonntagsausgabe.
Putin, der schwarzbegürtelte Judoka, ist seit Längerem dabei, die Macht im Weltsport neu zu ordnen. Russland begreife den Sport als Mittel der Außenpolitik, aber auch zur Geldwäsche „im großen Stil“, schreibt Wehner. Hier eine Auswahl aktueller und ehemaliger, vor allem reicher Weggefährten Putins:
- Vitali Mutko, Russlands Sportminister und Fifa-Exekutivmitglied
- Wladimir Lissin, Präsident des Europäischen Sportschützen
- Michail Prochorow, Präsident des Russischen Biathlonverbands und Mehrheitsgesellschafter des NBA-Vereins Brooklyn Nets
- Alischer Usmanow, Präsident des Weltfechtverbands und Gesellschafter von Arsenal
- Marius Vizer, Präsident von Sportaccord, der Vereinigung aller Sport-Weltverbände
- nicht zu vergessen natürlich Gazprom großer Player im Weltsport
Und Sotschi war’s ja noch lange nicht. In Moskau fand im Vorjahr die Leichtathletik-WM (oft vor vielen leeren Rängen) statt. Im nächsten Jahr sehen wir erstmals einen Formel-1-Grand-Prix in Russland, in Sotschi. Der Judo-Weltverband, dessen Ehrenpräsident Putin ist, wird seine Meisterschaft in Tscheljabinsk (Ural) austragen, die Schwimmer im Becken von Kasan. 2016 findet die Eishockey-WM in Moskau und St. Petersburg statt. Höhepunkt ist natürlich die Fußball-WM 2018, die mit rund 35 Milliarden Euro veranschlagt wird (zuzüglich der gesetzlichen Korruptionsmarge).
„Wer loyal ist, darf sich bereichern. Darauf beruht ein großer Teil des Putinschen Systems“, fügt Reinhard Veser an, ebenso wie wir westdeutscher Schreibsöldner des Kapitals Politikjournalist der FAZ. Im Chat mit seinen Usern schreibt er:
„Natürlich hat niemand etwas dagegen einzuwenden, wenn die deutsche Wirtschaft bei einem Ereignis wie Olympia gutes Geld verdient. Die hohen Kosten in Sotschi sind aber aus mehreren Gründen kritikwürdig: Zum einen sprechen viele Indizien dafür, dass ein wesentlicher Kostenfaktor Korruption war. Manches, wie die Skischanze ist teurer geworden, weil beim Bau nicht auf örtliche Gegebenheiten geachtet wurde: Die Schanze ist während des Baus zweimal ins Rutschen geraten – davor, dass das auf diesem Hang passieren würde, hatten die Einheimischen von Anfang an gewarnt. Und schließlich ist sehr fragwürdig, ob es tatsächlich eine vernünftige Weiterverwendung vieler der olympischen Objekte gibt. Es ist leider wahrscheinlich, dass man in Sotschi in ein paar Jahren Investitionsruinen besichtigen kann.“
Und an anderer Stelle:
„In Sotschi wurde ein gigantomanisches Prestigeprojekt ohne Rücksicht auf Menschen, Umwelt und Kosten durchgesetzt. Unter Missachtung örtlicher Gegebenheiten wurde in die Landschaft gestellt, was bei der Führung in Moskau Gefallen gefunden hatte. Was die russische Regierung unter Beihilfe des IOC in Sotschi angerichtet hat, darf nicht den Sportlern angelastet werden, die sich lange auf Olympia vorbereitet haben.“
So ist es. Der Respekt vor sportlichen Höchstleistungen bleibt unbenommen: