Vor gut einem Monat flog ich mit zwiespältigen Gefühlen nach Brasilien. Klar, Reporter bei der Fußball-WM, tolle Sache. Aber da waren auch die Bedenken wegen der Proteste der Brasilianer gegen ihre Regierung und gegen die Fifa. Ich hatte fast damit gerechnet, dass der Fußball aus dem Fokus gerät.
Es kam alles anders. Der Fußball war stärker. Diese WM kam mit Macht und Wucht. Vielleicht ist das naiv, aber dieses Turnier hat mich vom ersten Stadionbesuch an eingefangen, mitgerissen, überwältigt.
Das hat gar nichts mit dem Ausgang des Turniers zu tun. Ich gönne der deutschen Mannschaft den Titel. Die Spieler treten mit Leidenschaft für ihr Land an, das war bei älteren Jahrgängen nicht immer so. Fair und schön spielt die Elf meist auch. Und Joachim Löw ist die Bescheidenheit in Person.
Für mich wäre aber keine Welt zusammengebrochen, wenn die Deutschen im Viertelfinale rausgeflogen wären. Und ich glaube, das wären sie, wenn Benzema in der 94. nicht an Neuers Faust gescheitert wäre. Glückwünsche zum Titel, die ich von einigen Brasilianern erhalten habe, nehme ich nur deswegen an, weil sie lieb gemeint sind. Ich bin kein Weltmeister.
Ich freue mich einfach über guten Fußball und gute Fußballstimmung. Von beidem gab es in Brasilien reichlich. Die Spiele waren zwar taktisch nicht immer auf der Höhe. Doch hat man je solche emotionalen und dramatischen Schlachten gesehen? Es wurde so viel geheult, so viel getröstet. Selbst mancher Sieger wurde von seinen Tränen übermannt.
Die US-Fans überzeugen
Das lag auch an den Zuschauern. Ich konnte zwar nur zu den Spielen der Deutschen gehen. Doch die hatten es in sich, das Frankreich-Spiel ausgenommen. Eine Atmosphäre wie beim Halbfinale in Belo Horizonte vor Beginn des Spiels habe ich noch nicht erlebt und werde ich wohl nicht mehr erleben. Die brasilianischen Zuschauer wollten ihre Angst, ohne Neymar antreten zu müssen, übersingen.
Auch in den anderen Stadien war es laut und aufbrausend. In Fortaleza gegen Ghana – das Ding war heißer als die Tropen. In Porto Alegre gegen Algerien ging den Deutschen auch wegen der Stimmung auf den Rängen die Kontrolle verloren. Am meisten überrascht haben mich die US-Fans. Sie feierten jede Aktion ihrer Mannschaft frenetisch. Trotz Sintflut in Recife und obwohl die Amerikaner kaum über die Mittellinie kamen. Offensichtlich wächst in den USA eine neue Fan-Kultur heran.
Der letzte Monat hat erneut gezeigt, welche Kraft und welche Faszination in dem Teamsport Fußball stecken. Er vereint gegensätzliche Elemente, Kraft und Eleganz, Schwere und Leichtigkeit. Es war nirgendwo besser zu sehen als im Finale: das Stehaufmännchen Schweinsteiger und das magische Tor Götzes.
Brasilien war ein guter Gastgeber
Brasilien war der perfekte Ort für dieses Turnier. Es ist ein Fußballland, vielleicht das Fußballland. Es war ein guter Gastgeber. Die nächsten WM-Endrunden finden in Russland und Katar statt. Ich will kein Miesepeter sein, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie auch nur annähernd an Brasilien 2014 heranreichen werden. Auch den Fifa-Bossen hat es hier gefallen. Sie haben es sich in Rio, soweit ich das mitbekommen habe, wieder in der Champagner-Klasse gutgehen lassen.
Doch auch die Fifa konnte mir die WM nicht verderben. Wäre ich nicht so erschöpft, ich wäre richtig traurig, dass die WM, dass der Fußballsommer meines Lebens vorbei ist. Vielleicht revidiert die Fifa ja noch ihre Katar-Entscheidung und vergibt die WM 2022 an ein anderes Land. Ich hätte einen Vorschlag: Brasilien.