Es war ein denkwürdiger Abend im Herbst des Jahres 2006. Da beging die kleine Plattenfirma Hausmusik im Münchner Feierwerk ihr fünfzehntes Jubiläum mit einem Festival, der zweite Tag endete mit einem spontan angesetzten Auftritt des Tied + Tickled Trios. Die Bläser ihres jüngsten Albums Observing Systems waren nicht dabei, vier Musiker – oder waren es fünf? – rührten eine trübe Dub-Suppe an. Die unerwartet monotonen Rhythmen, das düstere Scharren und die Bassbrummereien waren des Festivals Salz und Sahnehäubchen. Es war laut, ohrenbetäubend laut, dunkel und stickig; kaum jemand wagte es sich zu bewegen, nur der Haarschopf des Bassisten Micha Acher federte vor seinen geschlossenen Augen hin und her. Alles passte, es war unfassbar.
Offenbar selbst von diesem Auftritt beeindruckt, begaben sich die Musiker alsbald ins Studio, um die Stimmung zu reproduzieren. Innerhalb von drei Tagen entstand Aelita. Der Versuch misslang. Die Euphorie des Abends konnten sie nicht herzaubern. Im Scheitern brachten sie etwas Drittes, gleichwohl Fabelhaftes hervor. Aelita ist direkt, drängend und tieftraurig. Nur eines der acht Stücke, Other Voices Other Rooms, reißt eine Melodie an, die ins Licht führt.
Der tiefe Dub ist noch da, das swingende Grummeln. Die Bässe graben im Subsonischen, Melotron und Xylofon – oder ist das ein Vibrafon? – singen melancholische Melodien. Trüffelschweinen gleich durchwühlen diese Musiker ihre Klangwelt. Rhythmen werden ewig durchgehalten, jede einzelne Idee so lange ganz leicht variiert wiederholt, bis sie alles zusammen haben. Meist sind dann sieben Minuten um. Vielleicht macht das Schlagzeug Markus Achers den Unterschied zum Konzert. Beherrscht klingt es, nicht so ausgefeilt und schnell wie auf der Bühne.
Auch wenn die Platte nicht die Kraft jenes spätsommerlichen Abends hat, zeigt sie doch die Sicherheit des zur Zeit fünfköpfigen Trios und dessen Gabe, sich einmal mehr in eine unerwartete Richtung zu entwickeln.
Als das Tied + Tickled Trio im Studio stand, nahm nebenan das Kammerflimmer Kollektief sein Album Jinx auf. So jedenfalls klingt es. Der tiefe Dub aus München scheint wie durch eine dicke Wand in die Stücke des Karlsruher Trios zu dringen. Das Kammerflimmer Kollektief spielt Variationen dazu, Gemurmel, Gekratze. Schon im Eröffnungsstück verknoten sich die Linien verschiedener Gitarren, von Harmonium, Percussion, Synthesizer, Doppelbass, Kalimba, E-bow, Wurlitzer und Viola zu einem dicken Geräuschwust.
Während der Aufnahme des Titelstücks Jinx müssen die Studiotüren sogar nur angelehnt gewesen sein. Hier mischen sich Dub und Distinktion, Coffeeshop und Konservatorium. Hektische Stimmen kreischen, johlen und plappern in die weite Welt, ein einfacher Lauf der Steelgitarre und der Rhythmus fangen sie immer wieder ein.
Die Stücke auf Jinx feiern den Schwermut. Nach und nach treten die Melodien, das Hörbare, das Fließende in den Vordergrund, dann klingt das Album richtig warm und nah. Beim fünften Hören zerspringt alles in seine Einzelteile.
Der Kritiker Dietmar Dath liefert einige Überlegungen mit, sie liegen dem Album bei: „So wichtig wie der Text, wie Zeilenzahl, Konkordanz, Register, Lesartenverzeichnis, Fußnotenapparat und Palimpsest ist der Schauspielerin die Musik, die alle Menschen hören, während sie zusehen. Es kommen da keine langen Walgesänge auf, das Summrollen, das die Arme und Beine des musizierenden Trios erzeugen, macht jedes Fiepen zunichte, das sich mit Ozeanischem aufspielt. Komische Aufführungspraxis: Applaus gibt es keinen, nur ein Flüstern wie mitten in der Grünen Hölle“, schreibt er. Das klingt so absurd wie angemessen.
Das finale Stück des Albums, das zehnminütige Subnarkotisch, wurde wohl erst am vierten Tag eingespielt, da waren die Tanzbären von nebenan schon beim Fototermin. Da ist überhaupt kein strukturierender Rhythmus mehr, nur langsam geschichtete, prozessierte Klänge von Streichinstrumenten. Jinx endet im Lärm.
„Aelita“ vom Tied + Tickled Trio ist als CD und LP erschienen bei Morr Music; „Jinx“ vom Kammerflimmer Kollektief ist als CD und LP erschienen bei Staubgold. Beide Alben werden vertrieben über Hausmusik
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