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So will ich auch sein!

 
Über die Jahre (28): Im Jahr 1983 erschien das erste Album von Nena. Unsere Autorin war damals neun Jahre alt und entdeckte durch die Sängerin ihre Liebe zur Musik.

Nena 1983

Im Jahr 1982 war Nena 22 Jahre alt, ich war neun. Plötzlich wirbelte sie durch den Fernseher, ich wollte sein wie sie. Im Textilunterricht lernten wir gerade das Handarbeiten. Ich häkelte zwei Schweißbänder aus rotem und aus gelbem Baumwollgarn und bestickte sie mit vier Buchstaben: NENA. Das Rote trug ich am rechten Arm, Tag und Nacht, auch in der Badewanne. Ich hatte es so zusammengenäht, dass es sich nicht mehr abnehmen ließ. Das Gelbe, ich trug es am linken Handgelenk, hatte einen Druckknopf.

Als Fünftklässlerin wurde ich wegen der Bänder beinahe von einer jungen Frau verkloppt. Sie fragte, ob ich Nena-Fan sei. Ich gab frech zurück: „Nee, wie kommst du denn darauf?“ Sie trat auf meinen neuen weißen Turnschuhen herum und spuckte mir ins Gesicht. Es war nicht Nenas Schuld, ich hatte einfach Pech. Nenas Debütalbum wurde im Jahr 1983 meine erste Langspielplatte, zuvor besaß ich nur eine Maxi-Single von Trio.

Nena hatte ihren bürgerlichen Namen – Gabriele Susanne Kerner – gegen einen Spitznamen getauscht, sie sah toll aus und war selbstbewusst. So wollte ich auch sein! Ich tanzte in meinem Zimmer, hüpfte und sang laut ihre Lieder. Zu Indianer führte ich einen Indianertanz auf, 99 Luftballons war ein schönes Lied gegen den Krieg, fand ich. Nena sang lässig und auf Deutsch, sie wirkte frisch und zuversichtlich. Heute würde ich sagen: Sie war authentisch.

Meine Eltern riefen mich, wenn Nena in einer Talkshow auftrat. Wenn sie sprach, leierte und kicherte sie, das war mir peinlich. Ich sammelte eifrig Zeitungsartikel und Bilder, meine Schulfreundinnen brachten mir Poster aus der Bravo mit – die meine Eltern mir niemals kauften – und ich klebte alles in große Malblöcke. „Nena und andere Musikgruppen“ hatte ich darauf geschrieben, sie lagern jetzt auf dem Dachboden.

Mit Nena endete meine Kindheit, sie weckte den Teenager in mir. Ihr Erfolg löste meine Liebe zur Musik aus – auch wenn mich ihre Lieder heute lediglich aus Nostalgie lächeln lassen. Vielleicht habe ich deshalb immer mal wieder verfolgt, wie es mit ihr weiterging. Als sie nach dem Tod ihres ersten Kindes gesunde Zwillinge bekam, freute ich mich für sie. Und als sie neulich im Laden vom Titel der Zeitschrift emotion strahlte, nahm ich das Heft mit zur Kasse.

„Nena“ von Nena ist im Jahr 1983 bei CBS erschienen und heute bei Sony BMG erhältlich.

Weitere Beiträge aus der Serie ÜBER DIE JAHRE
(27) Curtis Mayfield: „Back To The World“ (1973)
(26) Codeine: „The White Birch“ (1994)
(25) The Smiths: „The Queen Is Dead“ (1986)
(24) Young Marble Giants: „Colossal Youth“ (1980)
(23) Sister Sledge: „We Are Family“ (1979)

Hier finden Sie eine Liste aller in der Serie erschienenen Beiträge.

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