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Prügeln, Trinken, Onanieren

 
Vier junge Mädchen aus Hessen nennen sich Fräulein Wunder und machen knallbunten Pop für ihre Altersgruppe. Grauen und Hoffen liegen da dicht beieinander

„Wenn ich ein Junge wär’… / Da hätt‘ ich nix vermisst / Weil es viel besser ist / Weil ich’s viel geiler find / Dass ich ein Mädchen bin“, singt Chanty von der Mädchenband Fräulein Wunder. Na klar, sonst müsste sie ja auch auf ihre „pinken Schockklamotten“ und die „tollen Brüste“ verzichten. Fräulein Wunder sind vier Schülerinnen aus der hessischen Provinz, Wenn ich ein Junge wär ihr frecher erster Hit. Im Musikvideo treten sie als Jungs verkleidet auf und persiflieren deren mutmaßliche Hauptbeschäftigungen: Prügeln, Trinken, Angeben und Onanieren.

Chanty, Steffy, Pia und Kerstin sind zwischen 17 und 18 Jahren alt und tragen den selben Künstlernachnamen: Wunder. Auf der Hülle ihres Debütalbums hüpfen sie durch ein puppiges Wunderland. Ein passendes Bild, schließlich haben Wunderländer zwei Seiten, Grauen und Hoffen liegen dicht beieinander. Das ist bei ihrem Album nicht anders. Manchmal schaltet man sofort entsetzt weiter, manchmal tanzt man erfreut mit.

Sie singen davon, wie die Queen zu regieren und toller als Dornröschen zu sein, verrückte Dinge zu tun und – natürlich – von der Liebe. Die Stimme der Sängerin changiert zwischen Göre und glockenklarem Gesang, dazwischen kiekst sie und schlägt Purzelbäume. In manchen Liedern – etwa Ich schenk mir die Welt und Jeden Tag – erinnern Fräulein Wunder an die Neonbabies, an Ideal und Nena. Die meisten anderen sind hingegen nur schwer zu ertragen, dann erklingt schmalzige Massenware der Sorte Juli oder Silbermond. Kein Wunder, schließlich hat Simon Triebel von Juli bei der Aufnahme geholfen, ebenso wie Inga Humpe von 2raumwohnung. Produziert wurde das Album von Uwe Fahrenkrog-Petersen, dem ehemaligen Klangtüftler von Nena.

Um die Band vor der Albumveröffentlichung bekannt zu machen gab es beim Sender Viva mehrere Wochen lang kurze Filme über Fräulein Wunder zu sehen. Wer sich alle Folgen ansieht, der zweifelt nicht am Ehrgeiz und am Talent der vier Mädchen, doch ein bisschen an ihrem Verstand. Ihr Gekreische ist künstlich, ihr Geplapper hohl. Alles ist „geil“, „voll krass“ oder „cool“: Die Abendgarderobe, eine auf Chantys Handgelenk tätowierte Schleife, Steffys Probleme mit ihrem Freund, der Auftritt der Band beim Rock am Ring.

Soll man nun verzweifeln und die Mädchen als Plastikprodukt einer großen Plattenfirma verspotten? Nein, denn man kann immerhin hoffen, dass sie künftig weitere dieser rotzfrechen Texte zu ihren schnellen Takten sprudeln lassen. Gleich ob gewollt oder ungewollt, Fräulein Wunder treten als selbstbewusste junge Frauen auf. Sollte das andere Mädchen animieren, selbst eine Band zu gründen, wäre das doch ein Erfolg.

Das Debütalbum von Fräulein Wunder ist als CD bei Vertigo/Universal erschienen.

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