In den elektronischen Rhythmen des Buraka Som Sistema vereinen sich Europa und Afrika. Ihr brandheißer Kuduro-Stil wird unsere Tanzflächen zum Beben bringen
Im Jahr 2007 war Lissabon Schauplatz des EU-Afrika-Gipfels, eines politischen Projekts von gigantischem Ausmaß: 5000 afrikanische und europäische Politiker, Journalisten und Beobachter versammelten sich in der portugiesischen Hauptstadt, die Ministerpräsident José Socrates während der Konferenzeröffnung als „die afrikanischste Stadt der EU“ bezeichnete.
Den Alltag der Menschen berührte das Treffen nicht. Dort, wo sich Afrika und Europa tagtäglich begegnen, ward kaum ein Politiker je gesehen. Etwa 120.000 Schwarze, zumeist Immigranten aus den ehemaligen Kolonien Mosambik, Angola und Guinea-Bissau, leben heute in Lissabon. Vor allem in den verarmten Außenbezirken Amadora oder Queluz.
Der Sound dieser Stadt ist bunt, doch traditionelle Musik aus Angola und den Kapverden interessiert eher die Touristen als die Jungen in den Vorstädten. Diese hören lieber Baile-Funk-Beats aus Brasilien oder tanzen zum Buraka Som Sistema, einer Gruppe aus dem tristen Vorort Buraca. Ihr angolanisch beeinflusster Kuduro gilt mittlerweile in ganz Europa als als brandheiße Angelegenheit.
Konnte man bisher nur einige Videos im Netz bestaunen, ist das erste Album der Band um Lil‘ John, Riot and Conductor und MC Kalaf jetzt endlich auch in Deutschland erhältlich, Black Diamond heißt es, explosiv klingt es.
Was ist Kuduro? Versuchen wir es mal so: Kuduro ist harter, schneller afro-portugiesischer Elektro-Samba-Funk-Drum’n’Bass-Dancehall mit angolanischen Wurzeln. Oder so: Kuduro kommt aus der im Nordwesten Angolas gesprochenen Sprache Kimbundu, es bedeutet soviel wie harter Arsch und bezieht sich auf den exaltierten Tanzstil. Was in Luandas Tanzhallen und in Lissabons angesagten Diskotheken funktioniert, das wird nun hiesige Tanzflächen elektrisieren. Ganz sicher.
Buraka Som Sistema kommen aus Europa, ihr teilweise in Angola aufgenommenes Album führt eindrucksvoll vor, dass die großen Sprünge und kreativen Spagate der elektronischen Tanzmusik heute keineswegs mehr ausschließlich in Berlin oder New York vollbracht werden. Im Gegenteil: Die neuen Tanzmusiken lassen sich nur noch schwer verorten. So speist sich Burakas Kuduro aus einer lokalen Szene, doch eigentlich ist er ortlos und transkontinental. Er vereint portugiesische Musiktraditionen, angolanischen Semba, jamaikanischen Dancehall, brasilianischen Baile-Funk, der wiederum auf dem Samba beruht. Es schwingen Calypso, Soca, HipHop, House, Techno, Drum’n’Bass, Elektro und britischer Grime. Ein Amalgam, das vor allem eines ist: neu und unerhört. Dieser Beat ist weltumspannend und trifft mit Wucht auf.
Stücke wie Sound Of Kuduro (mit der Gastsängerin M.I.A.), Aqui Para Vocês, YAH! und Kalemba (Wegue-Wegue) sind Melangen des scheinbar Gegensätzlichen. Nie läuft der Beat ganz rund, Störgeräusche pressen sich zwischen die Schläge, stets durchkreuzen das Billige und Unfertige den Hochglanz. Black Diamond ist schnell, energisch und tanzbar.
Wenn es so etwas wie Weltmusik gibt, dann ist es diese hier.
„Black Diamond“ von Buraka Som Sistema ist bei PIAS/Rough Trade erschienen.
Black Diamond ist das Album der Woche bei ByteFM. Bis einschließlich Samstag werden täglich ab 16 Uhr im TourKalender einzelne Lieder aus dem Album vorgestellt. Eine ausführliche Hörprobe gibt es am Freitag, den 13. Februar, ab 14 Uhr in der Sendung Neuland mit Patrick Ziegelmüller.
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