Pete Doherty lässt auf seinem ersten Soloalbum alle Exzesse hinter sich und zeigt endlich, wie gut er sein kann
Jede Generation trägt auf ihren Schultern einen ganz besonderen Helden in die Charts. Ein rituelles Opfer, das weit heller als alle anderen brennen und viel schneller verglühen muss. Die Liste dieser Unglücklichen ist so lang wie die Geschichte der Popmusik selbst und endete vorerst mit Kurt Cobain. Als jüngster Kandidat, diese unselige Tradition fortzusetzen, gilt seit einigen Jahren der englische Musiker Peter Doherty. Bei keinem anderen Künstler seiner Generation hielten sich Talent und Selbstzerstörung auf so hohem Niveau die Waage. Auf seinem ersten Soloalbum ohne seine Band, die Babyshambles, hört man nun mit Staunen, wie diese Waage erstmals deutlich zugunsten seines Talents ausschlägt. Vielleicht klingt das klare und leise Grace/ Wastelands deshalb so überraschend anrührend – wie ein seidener Fallschirm, der sich in letzter Sekunde geöffnet hat. Denn was Doherty hier seinen Dämonen abgerungen hat, ist in seiner zarten Grandezza nichts Geringeres als die Krönung seiner bisherigen Karriere.
Akustisch hätte man das früher einmal genannt, denn der spezielle Zauber dieser Platte liegt in ihrer bis zur Kontemplation konzentrierten Beschränkung auf den Song – und allem, was ihm dient. Ließen seine berauschten und berauschenden Skizzen früher das brillante Songwriting dahinter immer nur erahnen, liegt sein Genie in so luftigen Songs wie Salome oder Lady Don’t Fall Backwards offen zutage. Zumal alles Dionysische aus dieser Sammlung behutsam produzierter Kostbarkeiten vollkommen verbannt worden ist – wahrscheinlich von Graham Coxon, dem Exgitarristen von Blur und Geburtshelfer dieses Albums.
Übrig bleiben akustische Gitarre, sparsam arrangierte Streicher, viele hingehuschte Pianoklänge und gedämpfte Bläsersätze. Dazu besingt Doherty mit zigarettenpapierdünner Stimme die Unmöglichkeit der Liebe und immer wieder auch seinen Sehnsuchtsort, das versunkene Albion: Sweet By And Bye badet förmlich in einem nostalgischen Ragtime Blues, womit der freundlichen Traditionalismen noch lange kein Ende ist. 1939 Returning könnte auch einem depressiven Randy Newman eingefallen sein, A Little Death Around The Eyes einem fröhlichen Scott Walker, das folkige Arcady einem Conor Oberst und die Single Last Of The English Roses gar den Gorillaz. Es scheint, als habe der Dionysos Doherty den Apoll in sich entdeckt. Und geweckt. Hoffentlich nickt er nicht so schnell wieder ein.
„Grace/Wastelands“ von Peter Doherty ist auf CD und LP bei Parlophone/EMI erschienen.
Dieser Text ist dem Musik-Spezial aus der ZEIT vom 12.3.2009 entnommen.
…
Weitere Beiträge aus der Kategorie ROCK
Journey: „Escape“ (Columbia 1981)
Franz Ferdinand: „Tonight“ (Domino Records/Indigo 2009)
The Shaky Hands: „Lunglight“ (Cooperative/Universal 2008)
The Killers: „Day & Age“ (Island/Universal 2008)
Guns N‘ Roses: „Chinese Democracy“ (Geffen/Universal 2008)
Alle Musikangebote von ZEIT online finden Sie unter www.zeit.de/musik