Über die Jahre (51): Nach ihrem überaus erfolgreichen Debütalbum servierten die Beastie Boys mit „Paul’s Boutique“ ein wildes Süppchen. Und das schmeckt auch nach 20 Jahren noch hervorragend
Als sie sich das erste Mal trafen, waren sie noch jung, 1987. Der eine, MTV, hatte gerade seinen fünften Geburtstag, die anderen, die Beastie Boys, schmissen die Feier. Mit dem neckischen Schlachtruf „You gotta fight for your right to party“ auf den Lippen turnten die drei knapp über zwanzigjährigen Jungs aus Brooklyn in ihrem Video durchs elterliche Wohnzimmer, sauten, soffen, zerfetzten Kissen und zerlegten das Mobiliar. Dieser Anarchismus entsprach auch dem Geist der frühen Tage des Musiksenders: Die Bildsprache war noch ganz anders konventionalisiert und weniger gleichförmig als heute – und Musikvideos machten tatsächlich den Hauptteil des Programms aus.
Licensed To Ill, das Debütalbum der Beastie Boys, war ein hysterisches Manifest des adoleszenten Hedonismus. Adam Yauch, Michael Diamond und Adam Horowitz – kurz MCA, Mike D und Ad-Rock – krächzten sich die Seele aus dem Leib, malträtierten Vinylscheiben und ließen Gitarren ein schmutziges Spiel treiben. Licensed To Ill klang schrill und blechern. Und vor allem einmalig.
Die Beastie Boys waren klug genug, das zu erkennen. So versuchten sie gar nicht erst, das Kunststück zu wiederholen. Bis in welches Alter hätte man ihnen die jugendliche Attitüde auch abgenommen? Nein, in der Zeit nach ihrem Debüt fraßen sie den Soul und entdeckten eine diebische Lust am Spiel.
Hielt Licensed To Ill eine manchmal enervierend hohe Schlagzahl, so begannen sie nun zu variieren. Ihr zweites Album Paul’s Boutique lebte von einer bis dahin kaum gehört flinken Schnittfrequenz. Heute kennt man das ja, Töne, Bilder, kaum etwas hält länger als ein paar Sekundenbruchteile. Aber damals? Das war wild!
Wie pfiffig sie da schnipselten und zusammenwürfelten. Immer wieder bremsten sie ab, hielten kurz die Luft an – und starteten schließlich doch mit quietschenden Reifen neu durch. Das sichere Gespür für Tempi lässt Paul’s Boutique – im Gegensatz zum Debütalbum – auch heute noch gut klingen.
Der Pokal hat seine eigenen Regeln: Goliathbässe messen sich mit Davidsamples, groß, klein, schnell, langsam, Country, Marley, Rock, Soul, Soul, Soul. Das Spiel wogt auf und ab, am Ende sind mehr als 20 Tore gefallen. Bei Shake Your Rump brennen den Beastie Boys die Sicherungen durch, im folgenden Johnny Ryall plappern sie zu einer aufreizend langsamen Daddelgitarre und einem kühlen Bassrhythmus – und dann dieser echsige Refrain: „Johnny Rou-yaaaal!“ Puh. Looking Down The Barrel Of A Gun mit seinen metallischen Gitarren ist die deutlichste Referenz ans Debüt, der Höhepunkt des Albums ist die zwölfminütige B-Boy Bouillabaisse – da köcheln Knurrhahn und Seeteufel, Aal und Seewolf, Barsch, Langusten und Crevetten in einem riesigen Topf beinahe über.
Das Süppchen, dass die Beastie Boys mit Paul’s Boutique servierten, war dermaßen ungewöhnlich, dass kaum jemand die Platte wirklich kaufte (naja, relativ gesehen). Aber was beweist schon die Skepsis der Vielen (fast zehn Millionen Amerikaner, die Licensed To Ill erstanden), wenn die Wenigen (immerhin zwei Millionen, die in Paul’s Boutique einkauften) der Meinung sind, dass es die beste Platte der Beastie Boys sei?
MTV hat die Beastie Boys längst abgehängt, zum Glück. Denn wie würde es wohl klingen, wenn die gegenseitige Inspiration anhielte? Aus Klingeltönen und seelenlosem Gefasel kann man doch keine Platte machen. Oder etwa doch? In diesem Jahr noch jedenfalls soll eine weitere Platte der Band erscheinen – Adam Yauch kündigte kürzlich an, die Band sei mit dem vorerst Tadlock’s Glasses getauften Album in eine „bizarre neue Richtung“ unterwegs.
„Paul’s Boutique“ von den Beastie Boys ist im Jahr 1989 bei Capitol Records erschienen. Kürzlich wurde es klanglich aufpoliert auf CD und LP wiederveröffentlicht – ebenso das Nachfolgealbum „Check Your Head“.
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Eine vollständige Liste der bisher in der Rubrik ÜBER DIE JAHRE besprochenen Platten finden Sie hier.
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