Die Rockröhre Tina Turner bewirbt eine neue CD mit christlichen und buddhistischen Gesängen. „Beyond“ ist eine freche Mogelpackung, unglaublich kitschig und banal
„Three Voices for Peace„, klebt auf der Zellophanhülle. „Tina Turner“ steht in Großbuchstaben rechts oben auf dem Cover, unter einem kleineren Schriftzug „Spiritual Message by“ und über einem ebenso kleinen „Vocals: Dechen Shak-Dagsay, Regula Curti„. Die Plattenfirma Decca leistet sich damit einen der unverschämtesten Marketing-Gags, seit Schneewittchens Stiefmutter den vergifteten Apfel vorkostete: Gelogen ist nichts – aber Wahrheit geht anders.
Denn die große Tina Turner singt keine Zeile auf diesem Album. Sie spricht. Oder besser: Sie predigt. Ziemlich banales Zeug darüber, dass wir alle gleich sind, über die anbetungswürdige Macht der Liebe und so, aber das macht ja nichts: Spirituelle Botschaften – so nennt sich das, was Turner da von sich gibt – sind nun mal so schlicht. Egal ob sie aus dem Munde von Tina Turner kommen oder dem von Jesus Christus oder Gautama Buddha. Immerhin schleicht sich beim Satz „What’s love got to do with it“ ganz, ganz leise so etwas wie Selbstironie ein – Turner erklärt in ihrem gleichnamigen Hit die hier so glorifizierte Liebe schließlich zur Second-Hand-Emotion.
Wie ist die Frau, für die einst die merkwürdige Vokabel von der Rockröhre erfunden wurde, die noch in hohem Alter das Hinterteil in beängstigend enge Lederminis zwängt, zwischen „Christian Voice“ Regula Curti und „Buddhist Voice“ Dechen Shak-Dagsay geraten? Ganz einfach: Die drei sind Nachbarn, unten am Zürichsee.
Turner – gebürtige Christin, bekennende Buddhistin – lebt in Küsnacht in einem Haus, in dem Curtis Mann früher wohnte. „Tina“, erzählt die Musiktherapeutin und Yogalehrerin Curti im Interview gern, habe unbedingt wissen wollen, wer vor ihr in dem Haus gewohnt hat: „Weil sie die Spirits, die dort vorher waren, kennen lernen wollte. Deshalb hat sie die vorherigen Bewohner zu einem Abendessen eingeladen.“
Die Exil-Tibeterin Dechen Shak-Dagsay, eine gelernte Bankkauffrau, die mehrere CDs mit buddhistischen Mantren aufgenommen hat, traf Curti im Kloster Einsiedeln, Europas größtem Benediktinerkloster. Die Mönche hatten beide eingeladen, um mehr über buddhistische Mantren zu erfahren. Aus diesem Kontakt, erzählt Shak-Dagsay, „ergab sich der Herzenswunsch, seine Heiligkeit den Dalai Lama mit dem Abt des Klosters zusammenzubringen“.
Und so haben auch Abt Martin Werle vom Ordo Sancti Benedicti und Seine Heilige Unvermeidlichkeit In Form Von Grußbotschaften die Finger im CD-Projekt, zwei Persönlichkeiten, die trotz allem eine starke Aura haben – ebenso wie viele Stücke der CD, auch wenn Produzenten und Marketing-Leute alles getan haben, den letzten Funken Spiritualität zu ersticken.
Denn die Beteiligten trauen ihrem Projekt hörbar wenig. Sie lassen nicht den gemeinsamen Geist in Mantren und frühchristlichen repetitiven Gesängen wirken, sondern kippen mit Elektronikschwitze angedickte Instrumentalsoße darüber. Die bestenfalls durchschnittlichen Stimmen der beiden Sängerinnen könnten in einem anderen Rahmen glaubwürdig und anrührend wirken, im enyaesken Geraune gehen sie unter. Es ist schwer, aber möglich, unter all der Glasur noch die Schönheit der Ave Marien und Bodhicittas, der Amithabas und Kyrie Eleisons, der alpenländischen Segenswünsche, Avalokiteshvara und Amens zu erkennen.
Obskure Plattenverlage bringen fast täglich schlicht produzierte und sparsam ausgestattete Feldaufnahmen aus entlegenen Weltgegenden – Tibet, Amazonasdschungel, Oberbayern – heraus, die schlichte Alltagsfrömmigkeit nur dadurch lebendig machen, dass sie sie abbilden. Es reicht doch, Leuten das Mikrofon entgegenzuhalten, deren Spiritualität kein Modeaccessoire ist, sondern ein Lebensbestandteil wie Essen, Trinken, Feldarbeit.
Beyond tut das Gegenteil. Ständig muss sich das Projekt brüsten mit den Grußbotschaften von Abt und Lama, rechtfertigen mit Erlösen, die in wohlige Stiftungen fließen. Die Website zum Album trieft nur so vor menschenfreundlichen Plattitüden. Ausführlich reden Tina, Regula und Dechen (man duzt sich) über ihre altruistischen Ansichten, ihre Suizidversuche und Morgenmeditationen und hoffen, dass die Musik hilft „alles Negative in deinem Leben hinter dir zu lassen und mit einer positiven Einstellung und einem guten Gefühl in die Zukunft zu blicken“. Drunter tun sie es nicht.
Mag ja sein, dass die Musikerinnen und auch die Grußwort-Lieferanten all dies ernst meinen. Und es stimmt ja, dass Buddhismus und Christentum viel gemeinsam haben und das in ihrer Musik hörbar wird. Hörbar werden könnte: Mit all dem Marketingzauber, mit Autoaufklebern und Talkshow-Auftritten muss der Versuch scheitern. Statt den frommen Wunsch nach Gelassenheit und Zeitlosigkeit zu erfüllen, zetert das Album lediglich wie viele andere: „Hier bin ich, kauf mich!“ Eine Bedingung der Spiritualität ist die Wahrhaftigkeit. Findet bestimmt auch der Dalai Lama.
„Beyond“ ist bei Universal Music erschienen.
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