Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Kreuzberger Kreuzung

 

Was klingt eigentlich so anders an türkischem Pop? Und welche Spielarten schmeicheln dem westlichen Ohr? Die Kompilation „Beyond Istanbul 2“ erweitert den Horizont.

 Die Band Kirika (© Trikont)
© Trikont

Kompilationen ethnisch abseitiger Musikbranchen haben oft einen Makel: Sie fühlen sich einem strikten Modernismus im Traditionellen verpflichtet. Einem zwingenden Brückenschlag vom multikulturell adaptierten Exotismus hin zur gewohnten Heimatatmosphäre westlicher Hörgewohnheiten und zurück.

Gerade Trikont, der globale Perlentaucher unter den deutschen Labels, pflegt diese weltmusikalische Transferpolitik, die mal Belgrads Technoszene ausleuchtet, mal Argentiniens Tangolandschaft, mal Neo-Funk vom Kap der Guten Hoffnung. Alles ehrenwert, oft spannend, selten kommerziell und doch längst nicht auf dem Niveau von Beyond Istanbul 2, die brillante Fortsetzung der seinerseits genialen Urban Sounds of Turkey.

Wieder sammelte die schwer angesagte Berliner DJane Ipek Ipekçioğlus die unfassbar vielseitigen Klänge der Heimat ihrer Väter. Und erneut scheut sie nie, was anderen peinlich wäre: den anbiedernden Folkjazzpop von Fairut Derin Bulut ebenso wenig wie die anatolische Volksweise vom schwülen Operntenor Zafer Erdaş oder das riemchenschuhbewehrte Popstars-Trio BirKiÜç mit ihrem berechenbaren Hitparaden-R’n’B.

Istanbuls verlorene Tochter macht sich weder aus der Ferne darüber lustig, noch will sie stumpf irgendeine Bandbreite abarbeiten. Nein, Ipekçioğlus stellt all die schönen, schlimmen Eigenheiten, die traditionellen, modernistischen Applikationen, die aufgestülpten, untergejubelten Arabesken als Klammer musikalischer Kunstwerke dar, die problemlos jenseits aller Ethnizität bestehen könnten.

Der Sahara Gypsy Song des bekannten Arrangeurs Osman Içmen etwa verwendet das Orientalische seines Projekts nicht als Accessoire im Okzidentalen oder umgekehrt, sondern als Wesen der Liedstruktur. Die technoide Dynamik entsteht allein aus der stroboskopischen Bongo im Hintergrund, und die alternative Sperrigkeit erwächst aus der unübersichtlichen Menge türkischer Elemente, nicht aus schnöden E-Gitarrenzitaten.
Und das klingt gerade deshalb in deutschen Ohren so seltsam vertraut, weil es von unprätentiösen Traditionals und DJ Ipeks Clubsound à la Berghain gerahmt wird.

Nun zu sagen „Die Mischung macht’s“, wäre allerdings zu einfach. Die Mischung stört nicht weiter, sie überfordert nicht, sondern sie fordert den Hörer auf, sich mit Zuma, Davul, Saz, Darbuka auseinanderzusetzen, den Basisinstrumenten türkischer Klangwelt. Denn die sind anpassungsfähiger, als man ihnen nach vielen Jahrhunderten Musikgeschichte zutrauen würde.

Keine Sorge – jetzt kommt nicht der Integrationsbeauftragte und erklärt, was die Kulturen hier voneinander lernen können. Sema klingt nun mal genauso, wie es aus den Autofenstern über Kreuzberger Kreuzungen schallt: nach Musikantenstadl am Bosporus. Und Sevil Öztatlis populäre Wiederentdeckung Seks, Seks, Seks mag spielerisch die sexuelle Befreiung der Sechziger verarbeiten, klingt allerdings grausam.

Aber all das verdient Beachtung. Und wenn ringsum so wunderbare Grenzgänger wie Mira oder Âşik Veysel von der musikethnologischen Offenheit modernen Pops künden, sollte man einfach mal die Ohren aufsperren und akustische Zugangssperren fallen lassen.

„Beyond Istanbul 2“ ist erschienen bei Trikont.