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Immer, immer Liebe

 

So schön kann das Seichte klingen: Mary Roos, die Schlagertante von Bingen, hat in den Siebzigern mit ihren Chansons die Franzosen beglückt. Sehr hörenswert!

© bureau-b
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Es gab mal eine Zeit, da wurde Deutsch gern von Nichtdeutschen gesungen. Wencke Myhre, Bill Ramsey, Peggy March, Gus Backus und wie sie alle hießen. In den Sechzigern, als sich englischsprachige Lieder auf den oberen Hitparadenplätze einnisteten, schulte man ausländische Künstler kurzerhand um zu musikalischen Inländern. Der heimische Schlager wurde quasi globalisiert, bis er im Folgejahrzehnt rückregionalisiert wurde und all die Bernds, Andreas, Michaels, Katjas, Jürgens und Berts Schunkelstoff zum Mitklatschen brachten.

Da wirkt es wie eine Gegenbewegung, dass Mary Roos genau 1970 so richtig durchstartete. Der Name klingt schließlich schwer britisch, und dann hieß ihr erster Hit auch noch Arizona Man. Doch die kleine Mary mit den dunklen Augen ist tiefstes Rheinland-Pfalz und womöglich eines der größten Missverständnisse der leichten Klangwelt.

Wie groß, das zeigt eine bemerkenswerte Kompilation des Hamburger Kleinstlabels bureau-b. Marianne Rosemarie Schwab, so ihr bürgerlicher Name, mag ja nach dem ersten Hit mit eher trivialer Schonkost durch die Fernsehshows der Siebzigerjahre getingelt sein; ihr musikalisches Herz schlug aber in Frankreich. Drei Alben hat sie im Nachbarland herausgebracht, deren Sprache sie erst lautmalerisch lernen musste.

Auf der Kompilation Amour Toujours wird das Werk nun erstmals kollektiviert. Und dass diese zauberhafte Mischung mal unverbrüchlich lebensbejahender, mal getragen melancholischer Lieder den Untertitel The French Song Collection 1972 – 1975 trägt, zeigt einmal mehr, wie sehr der hiesige Schlager durch Musik von der Insel beeinflusst wurde.

Es zeigt aber auch, wie international die Szene war, internationaler jedenfalls, als es das Hitparadenpublikum je erfuhr. Gitte Haenning, Nana Mouskouri, Mireille Mathieu – sie alle hatten ein Leben jenseits des Banalen. Und wenn man jetzt hört, wie Mary Roos ihre voluminöse, vielschichtige Stimme durch die beschwingte Welt des Chansons steuert, sind einem die Hitparaden-Ohrfeigen jener Jahre mit einem Mal herzlich egal.

Wie France Gall klingt es oft, nur kraftvoller, wenn sie zum Auftakt „Goutte, Goutte…“ flötet oder gleich im Anschluss den Albumtitel Amour Toujours. Wenn in Dans Le Jardin stimmkräftiger Schwermut Einzug hält, der gleich darauf mit dem optimistischen Melodie de Sol wieder verweht wird. So geht es die ganzen 21 liebeslust- und lastigen Stücke hindurch: Mary Roos holt die gedankenlosen Jahre der Musik zurück ins Gedächtnis und nimmt ihr mit purer Leichtigkeit die Irrelevanz deutscher Schlagerparaden vergangener Epochen.

Da mag es helfen, die meisten Texte im Detail nicht zu verstehen: Dem Gefühlsgeschwafel westlich des Rheins fügen sie nur selten Tiefgründiges hinzu. Aber diese Sprache! Allein der geschmeidige Wohlklang des Französischen klingt für Unkundige ja irgendwie poetisch. Es ist ein ideales Timbre fürs Easy Listening, das dort unter dem gediegenen Begriff Jet Set Musique firmiert. Mary Roos hat es perfekt beherrscht und warum sie damit trotz der Sprachbarriere stets in ausverkauften Sälen spielte, zeigt Amour Toujours. So schön kann das Seichte klingen. Und so französisch eine singende Hotelierstochter aus Bingen. Schlagertante hin, Schlagertante her.

„Amour Toujours. The French Song Collection 1972 – 1975“ von Mary Roos ist erschienen bei bureau-b/Indigo