Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Herzrhythmusmusik

 

Wenige Musiker haben sich am Sampler eine so persönliche Handschrift erarbeitet wie Kieran Hebden alias Four Tet. Sein neues Album There Is Love In You kommt direkt aus dem Club.

© Jason Evans

Es ist wohl Pablos Schuld. Viele Rockstars sagen dem wilden Treiben adé und werden zahm, wenn Kinder in die Familie kommen. In Interviews schwärmt manch gestandener Elternschreck dann vom Leben ohne Alkohol und Drogen. Die Anekdoten erzählen nicht mehr von langen Nächten auf Tour – sondern vom Wickeln und den ersten Kinderworten. Das Leben geht von da an geradeaus.

Pablo ist der kürzlich zur Welt gekommene Patensohn des britischen Musikers Kieran Hebden. Nach einer guten Viertelstunde von Hebdens neuem Album There Is Love In You macht plötzlich Pablos Herzschlag für ein paar Sekunden den Rhythmus – und man wundert sich nur ein wenig, denn irgendwie ging es bis dahin ungewohnt rhythmisch zu, gleichmäßig und, ja, geradeaus. Der Puls des Ungeborenen wummert und treibt – er liegt bei mehr als 160 Schlägen in der Minute.

Nun ist Kieran Hebden ja kein Rockstar. Unter dem Namen Four Tet veröffentlicht er seit rund zehn Jahren Platten, die er am PC gebastelt hat. Doch die Rhythmen, die er einem bislang um die Ohren wirbelte, die lassen sich durchaus vergleichen mit dem unsteten Leben eines Rockers. Da waren unerwartete Wendungen, Erinnerungslücken und Stolperer, spulten Geräusche hin- und zurück, im Zickzack, neben, über, hinter dem Rhythmus.

Auch sein vorletztes Four-Tet-Album Rounds eröffnete Kieran Hebden mit Herzschlägen. Das war ein krankes Herz, so schien es, unrhythmisch, aufgeregt (später las man, es sei das eines Hundes gewesen). So war auch das Album, immer wieder neben und gegen den Takt, ja, wild flirrend, aufgeregt. Als treibe ihn der chaotische Takt eines Geigerzählers, klang das manchmal. Natürlich war da ein Puls, aber immer lief ihm etwas entgegen.

Und nicht nur als Four Tet kultiviert Hebden den Stolperer, er steckt hinter allerlei anderem. Wenige Musiker haben dabei eine so eindeutige Handschrift wie er – und sind gleichzeitig so vielseitig. Mit der Band Fridge verbindet er digitale Spielereien, rumpelndes Schlagwerk und getragene Gitarren; mit dem Jazz-Schlagzeuger Steve Reid fischt er in einem wild blubbernden Teich aus Laptopklängen und Perkussion; und als Remixer verpasst er manch schwer angesagter Rockband ein neues Gewand. Elegant wie kein zweiter bereitete Kieran Hebden Radiohead, Bloc Party und die Foals auf den Discobesuch vor. Eines haben all diese Arbeiten gemein: Früher oder später kommt der Stolperer.

Nun also nicht mehr, nun also ist der Puls stetig. Weniger noch, er fällt oft gar nicht auf. Auf There Is Love On You spielen sich die Samples in den Vordergrund. Stimmfetzen, die dann einen etwas zerhackten Gesang formen, dazu säuselnd hallende Metallklöppeleien, hallende Synthesizerminiaturen.

Seit einiger Zeit legt Kieran Hebden einmal im Monat im Londoner Club Plastic People seine Platten auf. Das habe das Album stark beeinflusst, erzählte er dem Magazin Pitchfork. Immer wieder habe er die Stücke dort getestet und so lange bearbeitet, bis sie im Club gut klangen. Glücklicherweise wirken dennoch nur wenige Stücke, als sei ihre Qualität am Gedränge auf der Tanzfläche gemessen. Love Cry und Sing etwa, auch das nach der Disco benannte Plastic People kann man sich ganz gut in ohrenbetäubender Lautstärke vorstellen.

Es gibt dieses wunderbare Buch von Ursus Wehrli, Kunst aufräumen. Da sortiert er die Striche von Picasso, Van Gogh und Keith Haring, gruppiert Gleichfarbiges und Gleichförmiges. There Is Love On You klingt, als habe Ursus Wehrli Four Tet durchsortiert. Es ist alles da, jedes kleine Fiepsen, Schnarren, Klackern. Und doch ist alles in verblüffender Ordnung.

„There Is Love In You“ von Four Tet ist auf CD und Doppel-LP bei Domino Records.