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Ich bin die Randi

 

Die Norwegerin Randi Tytingvåg bringt Jazz, Pop und Folk zwanglos zusammen. Dem Klischee von der säuselnden Skandinavierin will sie nicht entsprechen.

© Sara Aarsland

Irgendwo dort droben muss es eine Werkstatt geben, wo sie in Serie hergestellt werden. Und irgendwo hier unten muss es eine Nachfrage geben, die die Produktion dort droben stets von Neuem anheizt. Jazzfrauen aus Skandinavien gehen immer. Kaum hat die eine ihre irisierende Wirkung auf die Fachwelt ausgeübt, da rollt auch schon die nächste herb-sinnliche Kindfrau heran, auf dass die Kritik sie in den schönsten Tönen der Minne besinge. Jetzt also Randi Tytingvåg.

Das Cover ihres bereits vierten Albums Let Go zeigt eine Frau mit jugendlichem, fast kindlichem Gesicht. Geraden Blicks fixiert sie den Betrachter, als wollte sie sagen: Hier bin ich, die Randi, ich will euch was erzählen.

Zum Glück verzichtet sie, anders als auf ihrem Debüt, darauf, es allen recht machen zu wollen. Nichts von in Poesie gegossener Selbstfindungstristesse diesmal, die Songs basieren auf erlebten Geschichten, zu denen man seinen Teil hinzuassoziieren kann. Dass Tytingvåg gelegentlich (vor allem in ihren Auftritten) dann doch zum Pathos neigt, mag mit einem Land zusammenhängen, dessen Geografie nicht gerade arm an Dramatik ist. In ihrer von Bergen und Fjorden umgebenen Heimatstadt Stavanger, heißt es, könne man an einem einzigen Tag vier Jahreszeiten durchlaufen.

Jazz, Gipsy Swing, Pop, Folk, Cabaret, Chanson, Klezmer, Tango – alles kommt hier auf vergleichsweise zwanglose Weise zusammen. Berührungsängste kann man sich in Norwegen eben nicht leisten, das Land ist so dünn besiedelt, dass man notgedrungen mit den Musikern zusammenspielen muss, auf die man auf der Suche nach Mitspielern trifft. Was auch seine Vorteile hat: Ein Eklektizismus, der anderswo als Grenzgängertum verklärt wird, passiert hier einfach so, quasi beim Jammen. Überhaupt ist Sparsamkeit für Randi Tytingvåg eine Tugend. Begleitet wird sie nur von Klavier, Akkordeon und Kontrabass, gelegentlich gesellen sich Geige und Klarinette hinzu. Kein Schlagzeug.

Das führt zur Vermeidung von Jazz-Klischees ebenso wie zur sparsamen Dosierung allzu anschmiegsamen Säuselgesangs und tut ganz nebenbei den von zu viel skandinavischer Erotik überstreichelten Ohren wohl. Sagen wir es so: „Nordisch“ klingt diese Musik selten, indes sie hat jene kammermusikalische Transparenz, die wir – herb-sinnliche Kindfrauen hin oder her – am Norden so schätzen.

„Let Go“ von Randi Tytingvåg ist erschienen bei Ozella Music.

Dieser Artikel wurde gedruckt in der ZEIT Nr. 12/2010.