Seit dem Erfolgsalbum „Boxer“ haben sich The National aus Ohio drei Jahre Zeit gelassen, um ihren Stil behutsam zu verfeinern. Nun erscheint das wunderbare „High Violet“.
Es gibt Lieder, die sind perfekt. Da stimmen Tempo und Atmosphäre, Töne und Klänge, Farben und Temperatur. Da fügt sich eins zum anderen, alles passt. Immer und immer wieder hört man diese Lieder, da setzt nichts an, da blättert nichts ab. Oft schimmern sie monatelang, und, ach, wie schön, wenn man sie nach Jahren wiederentdeckt. Es gibt viele dieser Lieder.
Oft wundert man sich, dass die Künstler ein paar Jahre später nachlegen, neue Lieder aufnehmen. Ist das nötig?, fragt man sich. Künstlerisch oft nicht, finanziell meist schon. Nicht selten zerbrechen solche Bands an ihrem perfekten Moment – oder klingen banal, wie ihre eigenen Kopien.
Gleich zwei perfekte Lieder: Vor rund drei Jahren erschein Boxer von The National. Darauf gleich zu Beginn diese beiden Stücke, das anrührend verschleppte Fake Empire und der euphorisierende Rocker Mistaken For Strangers. Besser kann ein Debütalbum nicht beginnen, dachten viele damals. Und: Einen größeren Stolperstein als solche Lieder kann man der weiteren Karriere kaum in den Weg legen.
Beide Gedanken waren falsch, und das hat miteinander zu tun. Denn einerseits wurden The National schon vor mehr als zehn Jahren in Cincinnati, Ohio, gegründet; vor Boxer veröffentlichten sie bereits drei Alben. Und andererseits beweist ihr neues Werk High Violet, dass eine Band am perfekten Lied nicht zwangsläufig zugrunde geht. The National hatten ein langes Leben vor dem Hit, sie haben eines danach. Und – auch das mag geholfen haben – sie ließen drei Jahre verstreichen seit Boxer.
Wahrscheinlich ist dem samtenen Bariton des Sängers Matt Berninger ohnehin nichts anzuhaben. Eine Stimme, in der es schwingt, als sei es ihr gleich, zu wie vielen sie schallt. Von dieser Stimme lebt die Musik, sie legt sich eng an die geschmeidigen Harmonien, an die knisternde Wärme des Zusammenspiels. So klingen The National auf High Violet oft, als seien sie die geheilten Brüder der Tindersticks.
High Violet hört sich nicht an, als müssten The National sich oder einer Plattenfirma etwas beweisen. Kein krasser Richtungswechsel, kein peinliches Modernisieren, kein stumpfes Aufkochen – stattdessen von ruhiger Hand gespielter Poprock, mittleres Tempo, behutsam komponiert, hier lärmend, dort melodramatisch, hier Gitarreschlagzeugbass, dort Orgel, Flügel und Streicher. Welche Verfeinerung!
Ach ja, eines ist doch irgendwie dicker aufgetragen, die Gästeliste: Sufjan Stevens, Justin Vernon und Richard Parry von Arcade Fire summen hier und da im Hintergrund. Sie stören nicht weiter.
„High Violet“ von The National ist auf CD und Doppel-LP bei 4ad/Beggars Group/Indigo