Die kanadische Band Arcade Fire unterlegt frohe Hymnen mit dunkler Lyrik. „Neon Bible“ entstand in einer Kirche. Der Welt gefällt’s.
Es ist eine beinahe alltägliche Erfolgsgeschichte in Zeiten des Web 2.0: Im Jahr 2004 erscheint in Kanada das erste Album von Arcade Fire, Funeral, aufgenommen für lächerliche tausend Dollar. Unterstützt von Blogs und Tauschbörsen verbreitet es sich rasch um die ganze Welt. Als es Anfang 2005 in Europa veröffentlicht wird, hat es dort eigentlich schon fast jeder. Heute lassen auch Bruce Springsteen und U2 mitteilen, Fans der Band zu sein. Sasha Frere-Jones wagt im amerikanischen Magazin New Yorker die These, dass sie die Band vielleicht deshalb so schätzten, weil die ihre musikalischen Visionen ohne die Einmischung von Plattenfirmen umsetzen konnte.
Wake Up von Funeral dröhnt vor jedem Spiel der New York Rangers durch den Madison Square Garden. Das hymnische Stück soll die Eishockeyspieler zum Sieg treiben. Offenbar hören sie nicht so genau hin, denn der Text handelt nicht vom Siegen, sondern vom Erwachsenwerden, von der Leere und dem Tod. “Something filled up my heart with nothing, someone told me not to cry. But now that I’m older, my heart’s colder, and I can see that it’s a lie.“ So funktionieren Arcade Fire: In schwelgerischen Hymnen verhandeln sie die ganz großen Gefühle.
Das gilt auch für ihr zweites Album, Neon Bible. Die Sprache klingt alttestamentarisch, unzählige Instrumente sind zu hören. Ein hämmernder Bass gibt Struktur, die Gitarren scheppern optimistisch. Xylophon, Banjo und Akkordeon verleihen der Musik etwas Exzentrisches. Streicher, Bläser und Harfen erzeugen das Gefühl, einer Art Gottesdienst beizuwohnen. Der Sänger Win Butler erscheint mit seiner durchdringenden Stimme wie ein Priester, immer wieder überschlägt sich seine Stimme. Das ist Gospel für Weißbrote. Ganz gleich, welche Tiefen die Lyrik auslotet, die Musik klingt immer froh. Neon Bible wurde in einer Kirche aufgenommen, auf dem Stück Intervention hat die Orgel einen gewaltigen Einsatz. Ein Chor darf da nicht fehlen.
Auf der Platte sind Arcade Fire zu siebt, auf der Bühne zu neunt. Sie lieben das Spektakel. Ihre Auftritte zelebrieren sie als Theater mit Verkleidungen und häufigen Instrumentenwechseln. Sie wollen ihr Publikum unterhalten.
In der von männlichem Selbstmitleid und Größenwahn beherrschten Rockszene sind sie eine Ausnahme. Sie verbinden das Grüblerische mit dem Ekstatischen, schmücken tiefsinnige Gedanken mit prallen Arrangements.
„Who among us still believes in choice?“, fragt Butler in Ocean of Noise.
„Nada“, antwortet der Chor auf Spanisch: Niemand.
Und das stürmische Stück Antichrist Television Blues brechen sie auf dem Höhepunkt einfach ab.
„Neon Bible“ von den Arcade Fire ist als CD und Doppel-LP erschienen bei City Slang
Hören Sie hier „Intervention“
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