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Kelis ist nicht Kylie

 

Das sieht sehr vielversprechend aus, klingt aber leider nicht so: Für ihr neues Album „Flesh Tone“ hat sich Kelis lediglich ein paar Dance-Tracks aufbereiten lassen.

© Rodrigo Otazu

Schon erstaunlich, dass der Welthit Milkshake, einer der prägenden Songs der Nuller Jahre, keine Riesenkarriere mit sich brachte. Heute sind Rihanna und Lady Gaga dort, wo Kelis eigentlich hingehört. Die allerdings zog sich nach ihrem mäßig erfolgreichen letzten Album (Kelis Was Here) für vier Jahre zurück. Sie lernte kochen und gebar ihren Sohn Kingston. Von dessen Vater, der Hip-Hop-Legende Nas, ließ sie sich dann noch sehr öffentlich scheiden.

Flesh Tone heißt nun das neue Werk, und natürlich thematisiert Kelis darauf auch ihre Trennung (Emancipate). Das eigentliche Thema aber ist ihre Mutterschaft. Und welchen Sound hat sie sich dafür ausgesucht? Disco, Elektro, House. Ausgerechnet!

Gelungen ist ihr die Überraschung im Video zur ersten Single Acapella, einer Power-Performance aus etlichen Kostümwechseln: Kelis als Jägerin, Kelis in Gold, Kelis mit Federkrone oder Juwelenbrille, silberhaarig, gelb drapiert, im Dschungel und in der Wüste. Am Ende aber wendet sie sich von der Kamera ab – und trägt den kleinen Kingston auf dem Rücken. Das wär’s doch gewesen: Kelis, die wilde Disco-Mom. Eine reizvolle Kunstfigur! Und so naheliegend – was, wenn nicht die Euphorie von Disco, könnte frisches Mutterglück adäquat zum Ausdruck bringen?

Und das Album beginnt ja auch vielversprechend: Giorgio-Moroder-Synthies, dazu schmierende Gitarrenligaturen wie von Ratatat – man kann sich gut vorstellen, wie eine Diva zu den Klängen von Intro die Bühne einnimmt. Aber je länger die Platte läuft (und sie ist mit ihren neun Stücken nicht mal besonders lang), desto deutlicher wird: Kelis spielt nicht. Weder mit der Musik, noch mit der Figur der Diva. Sie hat sich einfach nur einige Dance-Tracks aufbereiten lassen.

Es ist ja fast zur Standardprozedur geworden, ein Elektronikalbum zu machen, wenn die Karriere neuen Schub braucht. Kylie Minouge, Justin Timberlake oder Nelly Furtado sind nur die erfolgreichsten Beispiele einer langen Reihe. Im besten Fall fügt es der Gesamterscheinung einige Facetten hinzu, bringt vielleicht auch neue Hörer, während das Persönliche erhalten bleibt. Bei Timberlake und Furtado ging die Rechnung auf, weil sie sich jeweils für ein ganzes Album einem Produzenten auslieferten (Timbaland), der ihnen dann über die lange Strecke unterschiedliche Farben verlieh.

Kelis begab sich für Flesh Tone zwar auch unter die Fittiche von Will.I.Am, bat aber zudem noch eine Mannschaft weiterer Produzenten an die Drehregler. Doch David Guetta, Boys Noize, El Tocadisco, DJ Ammo und die anderen sind eben nicht Timbaland oder die Neptunes. Sie produzierten für Kelis je ein, zwei oder drei Clubtracks, die meisten sind auch ganz gelungen. Ein Album wird so aber nicht daraus.

Und Kelis ist nicht Kylie. Sie ist nicht das schöne Luxusding, das sich von wechselnden Impresarios neue Kleider und Klanggewänder überwerfen lässt (und dann funkelt). Nein, sie ist eine eigenwillige Künstlerpersönlichkeit. Für Flesh Tone ließ sie sich ihrer besten Seiten berauben – die Vielseitigkeit, der Trotz, die Launen, der Soul –, gewinnt dieser Beschränkung aber nichts ab. Sie wirkt eher gefangen im Korsett von House und Disco. Selbstverständlich fahren einige dieser Stücke bei angemessener Lautstärke mächtig in die Beine. Aber auf Dauer ist dieser leicht abgestandene Ibiza-Sound einfach nur fad.

„Flesh Tone“ von Kelis ist erschienen bei Interscope/Universal