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Selten klang Komplexes so simpel

 

Mit wenig Aufwand große Wirkung erzielen: Die kanadische Gruppe Parlovr spielt verschrobenen und impulsiven Indiepop, dass es eine Freude ist.

© Dine Alone Records

Es ist nicht sonderlich kreativ, immer wieder im Typischdeutschen zu wühlen, nach Tugenden zu forschen, nach Eigenarten. Manche Fragen aber müssen ab und an gestellt werden: Warum fehlt nur so oft die Leichtigkeit? Wo versteckt sich bisweilen das Impulsive? Was hemmt, was blockiert, reguliert und steuert uns bloß? Wie kam es zu dieser absurden Mischung aus Luzidität und Trübsinn in unserem Denken und Fühlen? Und jetzt bitte nicht das allezweiJahrewiederkehrende Sommermärchen als Beleg typischdeutscher, freudegetriebener, vorbehaltloser Spontaneität anführen; hier geht es vor allem um Musik!

Man muss zum Beispiel nur ein, zwei Lieder, ach, drei, vier Akkorde des ersten Songs vom selbstbetitelten Debütalbum der bemerkenswerten Gruppe Parlovr hören und weiß sofort: Die können nicht von hier sein. Zu roh und ungeschliffen klingt schon zum Auftakt ihr Pen to the Paper, zu perfektionsfern jedes weitere der elf Indiepopstücke und zu sehr aus dem Bauch heraus gespielt. Dass das Trio aus Kanada stammt, dem wohlgeordneten Michael-Moore-Kanada Montreals zumal, hört man der Platte nun auch wieder nicht an; aber die Lässigkeit, mit der sich Louis Jackson, Alex Cooper und Jeremy MacCuish der heiteren Unvollkommenheit verschrieben haben, scheint hierzulande vielen doch wesensfremd zu sein. Schade eigentlich.

Andernfalls nämlich, auf Deutsch vielleicht, würde man sogar verstehen, was uns die drei da mitteilen wollen auf ihrem vor Lebensfreude und Aberwitz nur so sprühenden Erstlingswerk. Weil sich Nichtmuttersprachlern die Lyrik irrsinniger Titel wie Archy & Mehitabel oder dem sorglosen On The Phone aber völlig entziehen, muss man sich eben den Melodien widmen. Doch keine Sorge: das reicht dicke!

Mit großer Distanz zur Professionalität, aber keinesfalls amateurhaft unternehmen Parlovr einen Parforce-Ritt durch ihre wunderbare Welt verschrobener Harmonie. Ganz selten schimmern Verweise durch, ein Refrain in Sand Walking, ein Riff in Sever My Ties, die Künstler ins Gedächtnis rufen, deren Musik so referenzfrei ist, dass sie keinerlei Hitparadenzugang gestattet: Karate, BeigeGT, all so was. Und da die drei jungen Männer optisch an den späten John Lennon, die frühen Tocotronic, den ewigen Philip Boa erinnern, scheint von alldem durchaus etwas in ihrer Musik verborgen zu sein. Die New York Times entdeckt sogar eine Spur Beach Boys.

Doch all dies sind nichts als hilflose Suchaktionen nach Orientierung. Wenn Louis Jacksons Stimme über Alex Coopers uneitles Gitarrenspiel und Jeremy MacCuishs reduziertes Schlagzeug fegt, einem durchgedrehten Kobold gleich, gehen eben rasch die stichhaltigen Vergleiche aus, die einem das Verständnis erleichtern. Selten zuvor jedenfalls klang Komplexität so simpel, so unverkrampft und lässig wie bei Parlovr. Diese Leichtigkeit, die Impulsivität, diese ungesteuerte Spielfreude ist eine Rarität. Auch außerhalb Deutschlands.

„Parlovr“ von Parlovr ist erschienen bei Dine Alone Records.