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Echte Songs über echte Leute

 

Mit 70 hat der ergraute Tom Jones sein neues Album „Praise & Blame“ veröffentlicht. Bisweilen klingt es wie eine schnöde Kopie von Johnny Cash, aber trotzdem schön.

© Marco Grob

Sollte Tom Jones altersweise geworden sein? Ein Mann, der sich allen Ernstes „Tiger“ nennen lässt und sich noch mit knapp 60 Jahren für eine Sex Bomb hielt? Oder ist es nur eine Masche, dass der mittlerweile 70-Jährige, zuletzt als tanzbodenfegender Soul Shouter unterwegs, jetzt ein Album aufgenommen hat, das vor allem aus gospeligem Blues und country-affinem Rock’n’Roll mit meist religiösen Texten besteht?

Seit Rick Rubin mit seinen American Recordings so erfolgreich den damals noch lebenden Johnny Cash exhumierte, indem er ihn roh und reduziert produzierte, revitalisieren alternde Pop- und Rockstars gern mit der Noblesse der Alterns die abgestorbene Karriere. Neil Diamond zum Beispiel, ein Jahr jünger als Tom Jones, ging zu Meister Rubin selbst und landete seinen ersten Top-1-Album-Hit in den USA.

Tom Jones ging zu Ethan Johns, der unter anderem Ryan Adams, Rufus Wainwright und einmal Joe Cocker produziert hat. Die deutsche Promoprosa der Plattenfirma droppt zwar dezent den Namen Cash – aber die Website des Sängers dementiert in aller Ausführlichkeit, der Sänger habe die Platte „mein Johnny-Cash-Album“ genannt.

Es sei keinesfalls beabsichtigt gewesen, die American Recordings nachzubauen, und reiner Zufall, dass mit Ain’t No Grave nicht nur der vermutlich letzte vom Country-Gott aufgenommene Track, Titelsong des letzten Cash-Albums, sondern mit Run On auch noch ein weiterer Song aus dessen Vermächtnis auf Praise & Blame vertreten seien. Überhaupt klinge Jones‘ Version des letzteren doch viel mehr nach Elvis, mit dem Tom das Lied einst nach Shows gern zusammen geträllert hat, oder?

Na, klar, alles Zufall. Auch das gepeinigte Antlitz des mit schlohweißem Haar zum Schneeleoparden gewandelten Tigers in der Mitte des Booklets, von schattigen Ästen wie von einer Dornenkrone umkränzt, die Hände flehend gen Himmel erhoben, die Augen geschlossen, hat sicher nichts mit dem Schmerz zu tun, der Cashs letzte Alben als Leitmotiv durchzieht. Es sieht verdammt nach Pose aus. Der einstige Staubsaugervertreter kokettiert, es sei sein ehrlichstes Album: „Es gibt Leute, die sagen, es klinge nach mir.“ Er selbst sagt es offenbar nicht.

Aber ob Masche oder Pose, ein schönes Album ist es doch geworden. Vergessen wir mal den ganzen Marketing-Müll drumherum: Das rumpelfüßige Schlagzeug, die rohen Gitarren, die Hammond B3 und das Klavier von Booker T., die Steel Guitar und die Farfisa, all das passt viel besser zur Stimme des Tigers als der billige Flitter, mit dem er sie zuletzt zu umgeben pflegte.

Diese Stimme wirkt immer noch stets so, als halte nur die Selbstbeherrschung des Sängers sie davon ab, in wildes Gebrüll auszubrechen, sie vibriert auch im 70. Lebensjahr noch vor Kraft. Man nimmt Jones ab, dass er weiß, wovon er singt in diesen, wie er sagt, „echten Songs über echte Leute“. Dass der Mann, der neben 50 Jahren Ehe mit seiner Linda auch etliche Affären hatte und mindestens einen unehelichen Sohn zeugte, die Sünde kennt, die er besingt – davon ist auszugehen.

Auch das Elend, das in Zeilen wie Lord help the poor and needy in this land anklingt, dürfte einem Bergmannssohn aus Wales nicht fremd sein. Seine Geburtsstadt Ponytpridd trug einst den Spitznamen „Wilder Westen“ und war berühmt für den längsten Bahnsteig Großbritanniens – andere behaupten, das längste Abstellgleis der Welt. Wo sonst könnte man in Europa so glaubwürdig den Blues haben?

Das Album folgt nicht ganz der American-Recordings-Blaupause: Da ist mehr Power in vielen der Arrangements, mehr Licht, mehr, pardon, Rotz. Nicht alle sind so offensichtlich Man-In-Black-düster wie das Eröffnungsstück What Good Am I?, viele gehen auch richtig nach vorn wie Strange Things oder das John-Lee-Hooker-Cover Burning Hell. Auch wenn auf dem Album viel von Tod und Gräbern, Schuld und Sühne, Gott und jüngstem Gericht die Rede ist. Aufgenommen wurden die Songs in den Real World Studios von Peter Gabriel, dem Jones mit seinem weißen Kinnbärtchen fast ein bisschen ähnlich sieht.

Merkwürdig sind die Credits mancher Texte im Booklet. Nobody’s Fault But Mine, geschrieben von Tom Jones und Ethan Johns? Wusste Blind Willie Johnson das, als er diesen Blues Ende der zwanziger Jahre aufnahm? Von Led Zeppelin ganz zu schweigen? Haben Sister Rosetta Tharpe und Mahalia Jackson Jones und Johns um Erlaubnis gefragt, als sie Didn’t It Rain sagen? Und auch Ain’t No Grave und Run On, die Johnny-Cash-Nummern, sind mit „written by Tom Jones und Ethan Johns“ markiert statt mit „traditional„. Immerhin hat What Good Am I? den richtigen Credit. Bob Dylan hätte sich wahrscheinlich sonst beschwert.

Apropos beschwert: In britischen Medien kursiert die Mail eines Managers von Jones‘ Label Island Records, in dem er jenen Mitarbeiter zusammenstaucht, der dem Waliser gestattete, ein Album mit „Kirchenliedern“ aufzunehmen. Dafür habe man Jones doch nicht von EMI weggelockt! Dieses Album sei ein kranker Witz – und die Mail könnte ebenso gut ein Werbegag sein. Der Manager müsste arg bescheuert sein, wenn er das kommerzielle Potenzial dieser Aufnahmen nicht erkennen würde.

„Praise & Blame“ von Tom Jones ist erschienen bei Island Records/Universal.

Hier noch ein paar Fundstücke aus dem Youtube-Archiv: Ein junger Tom Jones und Wilson Pickett singen „Hey Jude“. Ein immer noch recht junger Tom Jones singt 1970 „Sunny“ mit Ella Fitzgerald. Wenig gealtert: Tom Jones 1971 mit Aretha Franklin. Und Tom Jones und der Treorchy Male Choir singen im Pub.