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Ein House am Sehnsuchtsort

 

Phillip Sollmann alias Efdemin macht elektronische Musik mit Feinsinn. Sein neues Album „Chicago“ ist eine Verbeugung vor der Stadt, in der die House-Musik erfunden wurde.

© Yasmina Haddad

Er war noch nie da. Trotzdem hat Phillip Sollmann alias Efdemin seine neue Platte Chicago genannt. Ein Titel, der unter Liebhabern elektronischer Musik sofort schwärmerische Assoziationen auslöst. Schließlich wurde in dieser Stadt die Musik, die man heute House nennt, erfunden. Der Techno-Musiker Efdemin stellt sich die Frage, wie ein Ort eigentlich klingt, über den man viel gelesen und noch mehr gehört hat? Welche Einflüsse sitzen dem Musiker im Nacken, während er Neues schreibt?

Im Gegensatz zum selbstverliebten und grellen New York, klang der Sound aus Chicago hart und gerade heraus. Jack your body, so lautete die Parole: Fordere deinen Körper! Auf Chicago lässt Efdemin die Stimmen aus der Vergangenheit wiederhallen. Zwar fordern sie „Do it!“ und „Come on!„, doch hier klingen die Parolen wie ein Flüstern. Körperlos und seltsam flüchtig tauchen sie aus dem Rauschen auf.

Chicago ist ein Album der großen Unschärfen und damit der genaue Gegenpol zu einer anderen, großen Techno-Platte dieses Jahres. Während der Romantiker Pantha Du Prince auf Black Noise die allmächtige Basstrommel von allerlei Geräusch umranken lässt, beherrscht Efdemin die kühle Klangarchitektur. Präzise und reduziert klingt das Album. Viele der musikalischen Impulse auf Chicago ergeben sich aus bloßen Andeutungen und bisweilen rätselhaften Einschüben. Jazz, Blues und Gospel-Einflüsse werden zitiert, häufig jedoch als abstrakte Momente. Zwischen die Beats mischen sich Alltagsgeräusche, ein diffuses Flimmern oder Stimmen, deren Herkunft ungeklärt bleiben. „Oh my God„, sagt eine dieser Stimmen über eine federnde Klaviermelodie.

Immer wieder hat man das Gefühl, hinter der Musik liegt noch eine andere Geschichte verborgen, die es zu erzählen gäbe. Efdemin lässt sie den Hörer nur erahnen. Am deutlichsten wird dies im Stück Shoeshine, mit dem er sich tief vor der Metropole Chicago verneigt. Schnurstracks stampft der Bass über einen tiefen Orgelakkord, bevor das Lied Fahrt aufnimmt. Plötzlich sind Stimmen und Polizeisirenen zu hören. Dann Schritte auf dem Asphalt. Der Bass stampft weiter. Wir sind angekommen in der Windy City, aber was wir zu hören bekommen, bleibt verschwommen. Wo enden die Songs? Wovon erzählen die Stimmen?

Fast improvisiert wirkt der Umgang mit den verfremdeten Klängen: Manch einer mag sich an Moodymann und Theo Parrish erinnert fühlen. Von den Altmeistern hat Sollmann gelernt, allzu gefestigte
Erwartungen zu unterwandern. Daraus entsteht eine Selbstverständlichkeit im Umgang mit Zufällen und Überraschungen. Oder um es gleich ganz konkret zu sagen: Jazz. „I can’t decide which piece to start with, so I won’t start with any of the pieces I already started„, lässt Efdemin zu Beginn des Albums einigermaßen kryptisch verlauten. Vielleicht könnte man ihn so verstehen: Ich weiß auch nicht, wo ich anfangen soll. Schauen wir doch mal, wohin es uns verschlägt.

Chicago ist nicht nur ein musikalisches Tribut an eine Stadt, in der zufällig eine Musikrichtung erfunden wurde. Es wäre Phillip Sollmann ein Leichtes gewesen, sein Album wie eine House-Platte aus den achtziger Jahren klingen zu lassen. Stattdessen klingt Chicago wie der Sound eines Ortes, der durch jahrelanges Hören und Auflegen gewachsen ist. Ob in den kleinen Details oder großen Gesten, Chicago ist nichts weniger als eine Liebeserklärung an einen Sehnsuchtsort.

„Chicago“ von Efdemin ist bei Dial Records erschienen.