Die Wundermusikerin Esperanza Spalding sollte jeder kennen, sagt Prince. Die 26-Jährige singt und spielt Kontrabass so virtuos, dass Jazz, Soul und Kammermusik zusammenfließen.
„Kennst du Esperanza Spalding? Schreib dir den Namen auf. Sie ist genial“, hat Prince neulich dem Kollegen vom Rolling Stone gesagt. Das müsste auf dem Musikmarkt eigentlich wirken wie ein Triple-A von Standard & Poor’s im Finanzmärchenland. Zumal die singende Kontrabassistin schon 2008 allerhand Aufsehen erregte: Das Album Esperanza Spalding hielt sich 70 Wochen in den Billboard-Jazzcharts. Doch die 26-Jährige knautscht nicht in Ruhe den Lorbeer – sie legt jetzt ein Album nach, das erstmal verdaut sein will. Der Titel, Chamber Music Society, kommt a) nicht von ungefähr und ist b) Programm.
Zunächst zu a): Spalding – Jahrgang 1984, aufgewachsen in Portland, Oregon – sah mit fünf Jahren den Cellisten Yo-Yo Ma im Fernsehen, lernte daraufhin Violine und spielte zehn Jahre lang im Orchester des lokalen Kammermusikvereins, der, genau: Chamber Music Society of Oregon. Mit 15 Jahren übernahm sie die erste Geige – doch just, als sie Konzertmeisterin geworden war, wurden ihr Violine sowie die nebenbei bespielten Instrumente Gitarre, Oboe und Klarinette zu öde. Sie entdeckte den Kontrabass.
Mit dem Dicksaiter spielte Spalding nun auch nicht-klassische Musik. In der Indierock-Band Noise For Pretend sang sie und schrieb Songs. Sie studierte am Konservatorium in Portland und dem Berklee College of Music in Boston – und wechselte nach Studienende direkt vom Hörsaalklappstuhl ans Dozentenpult: Sie wurde mit 20 Jahren die jüngste Professorin aller Zeiten am Berklee.
Und nun zu b): Auf ihrem neuen Album (dem dritten nach einem eher unbeachteten Trio-Album und dem Label-Debüt bei Heads Up von 2008) spielt Spalding Kammermusik. Oder jedenfalls etwas mit Streichern. Wo Arrangements so voller Geigen hängen, könnte saccharinhaltige Süße walten – doch hier gibt es nur fair gehandelten Biorohrohrzucker (die Promo meint, Spalding sei eine „junge Künstlerin, die trotz ihrer bisher steil verlaufenen Karriere nicht abhebt, sondern auf musikalische Nachhaltigkeit setzt“). Und der ist gezielt dosiert: Hier schmilzt die Bratsche poetisch, dort tränt das Cello melancholisch. Anderswo aber verlassen sie das Grenzland herkömmlicher Harmonien und brechen aus in die Wildnis der Dissonanz.
Nehmen wir Wild Is The Wind, den erst von Nina Simone und dann von David Bowie bekannt gemachten Song aus der Feder von Dimitri Tiompkin und Ned Washington. Trauriges Thema, Tangotragik, Cellosolo, aber fein konterkariert von Klavier (Leonardo Genovese) und Schlagzeug (Terry Lyne Carrington), damit es nicht gar zu schön wird. Oder Genoveses Komposition Chacarera, die auf einem argentinischen Volkstanz basiert, aber Schrägen betritt, auf die sich wohl kein Gaucho wagt. Auch Antonio Carlos Jobims Inútil Paisagem schwebt zwar in unbeschwerten Sphären, doch nicht so, dass seine Leichtigkeit unerträglich würde. Und die zauberhafte Stimmung von Spaldings Eröffnungsstück Little Fly, das den Respekt vor allem Leben zum Thema hat, wirkt so zerbrechlich und zart wie das besungene Tier.
Spaldings Kontrabass ist das Gelenk, in dem sich zwei Trios bewegen: Violine, Viola, Cello auf dem einen Flügel, Klavier, Schlagzeug und Percussion auf dem anderen. Es ist ein geschmeidiges Gelenk, flexibel im Rhythmus, punktgenau in der Intonation. Spalding hat die Muskeln im Freejazz erprobt und mit ihrem Lehrer Michel Camilo sowie renommierten Partnern wie Pat Metheny, Stanley Clarke, Patti Austin und Joe Lovano trainiert.
Und dann sind da die vielen Stimmen: Spalding trällert mal vogelgleich, mal mädchenhaft, mal hetzt sie halsbrecherisch die Tonleitern hoch und runter, springt in akrobatischen Vokalisen wortlos über Instrumentenlinien, schlägt unisono mit Geige oder Klavier oder Bass – nur viel weiter oben in der Zirkuskuppel – Salti und über die Stränge. Gern kontrapunktiert sie komplexe Widerparts zum (auch mal gestrichenen) Bass, meist im Scat-Gesang, zweimal mit sehr poetischen eigenen Texten, einmal mit einem Gedicht des alten Briten William Blake.
Als reichte diese Vielfalt nicht, hat sie auch noch Gäste eingeladen: den ewigen Geheimtipp Gretchen Parlato und den Brasil-Jazz-Altmeister Milton Nascimento. Mit Parlato teilt sie Inútil Paisagem, mit Nascimento ihr eigenes Apple Blossom, das Wellen im Bermudadreieck von modener E-, Jazz- und Folk-Musik schlägt. Das tut auch Spaldings As A Sprout, während ihr What A Friend eher eine Brücke von Brasil-Jazz zu Seventies-Fusion schlägt. Und Winter Sun ist fast schon Easy Listening
Das Schönste aber ist, wie originell die Musterschülerin geblieben ist, wie kreativ trotz der frühen Reife, wie wagemutig und frei trotz der blitzgestarteten Karriere, die sie schon 2007 zum Jazzfestival von Montreal, 2008 in die David Letterman Show und 2009 ins Weiße Haus brachte. Im Dezember 2009 durfte sie gar in Oslo die Ouvertüre zu Barack Obamas Nobelpreis-Rede spielen. Sorry, Prince: Ein Geheimtipp ist Esperanza Spalding wohl nicht mehr – ein Genie allerdings schon. Triple-A? Kaufen!
„Chamber Music Society“ von Esperanza Spalding ist erschienen bei Heads Up/in-akustik.
Einziger Tourtermin in Deutschland: Am 22. 10. in Mannheim beim Enjoy Jazz Festival.