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Ende der ersten Ära Interpol

 

Die Stilikone Carlos Dengler hat die Band Interpol verlassen. Zum Glück haben sie vorher noch ein Album in finsterer Schönheit aufgenommen.

Die drei Verbliebenen von Interpol (© Jelle Wagenaar)

Düster würde man ihn sich vorstellen, den Sänger der Band Interpol. Mit tintenschwarzem Haar und dickem Kajalstrich um die Augen. Zum unheilvollen Postpunk der New Yorker würde es passen. Doch so sah der blonde Paul Banks niemals aus.

Die Aufgabe der Stilikone übernahm in der Gruppe ein anderer. Einer, der kürzlich verloren ging. Carlos Dengler hat sich verabschiedet. Er lebte den finsteren, coolen Vampir-Wave optisch vor. Dengler war zwar „nur“ Bassist und, wenn verlangt, auch Keyboarder, doch sein Erscheinungsbild machte ihn zur Identifikationsfigur und brachte ihn auf die Zeitschriftencover: in Kampfstiefeln und dunklem Anzug, mit Weste, Hemd, Krawatte – plus Gürtel und Pistolenhalfter.

Interpol and the Cult of Carlos D.„, wie das Kulturmagazin URB einst titelte, ist nun vorbei. Pünktlich zur Veröffentlichung des vierten Albums. Dieses ausgewogene und gleichsam experimentierfreudige Werk ist das bisher stärkste der Band geworden.

Es heißt wie die Gruppe, und strenggenommen ist es wegen Denglers Abgang auch das letzte Album, das diesen Namen verdient. „Wir haben diese Platte mit Carlos gemacht und sie auch mit Carlos abgeschlossen. Ob wir in Zukunft anders klingen werden, ist schwer zu sagen“, sagt Daniel Kessler, der Gitarrist und Gründer der Band. Im Interview gibt er gibt sich locker und betont damit, dass das alles wohl verkraftbar ist. „Es war eine reife Entscheidung und nicht so ein typisches Rock’n’Roll-Ding. Wir haben lange diskutiert. Dabei kam heraus, dass einer von uns andere Lebenspläne hat. Wir drei wollen aber weiter spielen, weiter touren und weiter eine Band sein.“

Dass so etwas geht, haben andere schon oft genug vorgemacht, beispielsweise ihre Landsmänner von R.E.M., nachdem Schlagzeuger Bill Berry 1997 ausstieg. Das war ein Jahr bevor Interpol gegründet wurden und fünf Jahre bevor ihr gefeiertes Debüt Turn On The Bright Lights erschien. Der Sänger Michael Stipe kommentierte damals den Fall mit einem Vergleich: Ein Hund mit drei Beinen sei noch immer ein Hund; er müsse nur anders laufen lernen.

Darin üben sich Interpol jetzt. Bevor im Herbst die Tour beginnt, haben sich der Gitarrist Kessler, der Frontmann Banks und der Schlagzeuger Sam Fogarino eine Prothese besorgt. Die brauchen sie, denn nach wie vor durchbebt ein Bass den Sound, der die Wände vibrieren lässt. Besonders auf den ersten, verhältnismäßig strahlenden Stücken der Platte, Success oder Summer Well, pocht und dröhnt ein erschütternder Rhythmus.

Den Viersaiter darf von nun an ein ähnlich kultbehafteter Musiker bedienen, zumindest auf der Konzertbühne: Während Paul Banks in seinem eisigen Bariton die Schwächen der männlichen Psyche besingt, zupft David Pajo den Bass. Der ehemalige Gitarrist der Band Slint bringt Erfahrung mit, war er doch verantwortlich für eines der einflussreichsten Postrock-Alben der Musikgeschichte, dem 1991 veröffentlichten Spiderland.

Am Keyboard steht seit kurzem Brandon Curtis, ebenfalls ein großes Talent der Indieszene. Seiner Band The Secret Machines fühlte sich Interpol von jeher verbunden. Der Elektroniktüftler bringt von seinem letzten Projekt School of Seven Bells auch etwas mit, das Interpol zuvor kaum hören ließen: psychedelische Klanglandschaften.

Wie es mit Interpol weitergeht und was nach Dengler geschieht, wird sich wohl erst in Jahren zeigen. Eines steht jedoch mit dem neuen Werk fest: Die erste Ära Interpol geht prachtvoll zu Ende.

„Interpol“ von Interpol erscheint bei V2/Cooperative Music