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Folk unter der Discokugel

 

Ein Bärtiger mit Pfau: Sam Beam alias Iron & Wine hat seinem zarten, ländlichen Pop einen neonfarbenen Anstrich verpasst. Folky wird funky.

© Piper Ferguson

Der Mann mit dem Bart treibt’s jetzt bunt: Iron & Wine alias Sam Beam hat die kargen, monochromen New-Folk-Ebenen hinter sich gelassen – jetzt wird’s neon. Das Cover von Kiss Each Other Clean zeigt ihn als Strichmännchen vor einer üppigen psychedelischen Linienlandschaft samt Pfauen.

Aber keine Sorge: Es sind nicht die grellen, urbanen Leuchtreklamen am Times Square, die auf diesem Album schimmern, eher die orangefarbenen Straßenlampen über leeren Kleinstadtkreuzungen oder die flickernden Motel-Schriftzüge am Highway, die die Basis aus Gitarre und Gesang bescheinen. Zur Musik aus der Welt der Weiden kommen die elektronischen Space-Sounds, die fuzzeligen Gitarren, die dezent tanzenden Basslinien wie Zuckerguss auf Mamas Apfelkuchen, als hätte sich ein Landei aus der Stadtdisco ein paar Splitter aus der Glitzerkugel geklaut.

Songs wie Half Moon oder Godless Brother In Love wurzeln fest in gar mit Harfe und Piano verstärkter Akustik, aber Doo-Wop-Damen und das Gesäusel von Thomas Bartlett (Doveman) als Duettpartner geben ihnen zusätzliche Schattierungen. Das gospelgefärbte Walking Far From Home köchelt, in dicken Klang- und Geräuschschichten aufgetragen, zu Beginn. Your Fake Name Is Good Enough For Me brutzelt funky am Ende. Dazwischen drängen sich jede Menge Songs zu den ganz großen Themen, die der Calexico-Kumpel so gern behandelt: gut und böse, Liebe und Tod.

Me And Lazarus sprenkelt ploingige und squinkige Synthie-Effekte über die vom einst zarten Flüstern zum robusten Croonen gefestigte Stimme des notorischen Langbartträgers, dann kommt ein geschmackvolles Saxofon hinzu. Dessen Kollege in Big Burned Hand kommt eher aus der Schmuddelecke als aus der eleganten Lounge und passt zum dreckigen Seventies-Groove samt, man höre und staune, DJ-Scratching.

Außerdem dabei: Blues, wohldosierte Weltmusik, ein Hauch Jazz, das posthume Lächeln von Nick Drake, der lebendige Geist von Tom Waits und manchmal sogar ein paar Strahlen Sonne (Tree By The River). Die Band, mit der Beam im Radio die CD bewirbt und demnächst als Iron & Wine durch die Staaten tourt, ist – von ihm abgesehen – eine komplett neue. Der Projektname, von einem Nahrungsergänzungsmittel namens Beef Iron & Wine abgeschaut, steht für Beam, Beam und nichts als Beam.

Und der spricht von einem „eher fokussierten Pop-Album. Es klingt wie die Musik, die Leute im Auto ihrer Eltern gehört haben, als sie aufwuchsen – diese radiofreundliche Musik der frühen bis mittleren Siebziger“. Das wirkt, auch angesichts der beiden Vorgängeralben, wie eine natürliche Entwicklung, wie das Entdecken der Möglichkeiten.

Die Haare des 36-jährigen Filmwissenschaftlers sind nicht mehr gar so lang, der Bart ist noch da. Dass es fünf Monate dauerte, die zehn Songs im Verlauf des vergangenen Jahres in Chicago aufzunehmen, liegt daran, dass Beam so lebt, wie er aussieht, irgendwo in der texanischen Pampa, mit fünf Töchtern. Dripping Springs heißt die Stadt. Da sehen die Neonreklamen sicher genauso aus, wie Iron & Wine klingt.

„Kiss Each Other Clean“ von Iron & Wine ist erschienen bei 4AD/Rough Trade

Konzerte: 7. 2. Hamburg, 8. 2. Berlin, 9. 2. Köln, 10. 2. Wien, 11. 2. München, 13. 2. Zürich, 14. 2. Frankfurt/Main