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DJ Spürnases Tanzbodenfüller

 

Die Crystal Fighters nennen ihre Musik Emotronic-Folk, aber was sagt uns das? Einfach mal mitfeiern und hinterher am postmodernen Lagerfeuer entspannen.

© Karina Lax

Was stimmt denn hier? Die Crystal Fighters wollen ihren Namen einer unvollendeten Oper über die Natur des Seins und die Bedeutung von Liebe entlehnt haben, an der der baskische Opa des Bandmitglieds Laure bis zu seinem Tod gearbeitet habe. Das zentrale Riff im Song Champion Sound stamme aus dem baskischen Volkslied Sagar Dantza, dem Apfeltanz, das Opa Bakar in seinen kryptischen Notizen erwähne. Und Solar System beruhe auf dessen Zeichnung all seiner früheren Geliebten als Planeten, mit sich als Sonne in der Mitte.

Das postmoderne Spiel mit Identitäten passt zur verrückten Melange aus Discopunk, pseudobaskischen Tribalbeats und Ethnoelektro, die Sebastian, Gilbert, Graham, Mimi und Laure produzieren. Die skurrilen Figuren auf dem Cover tragen verhüllte Gesichter unter bonbonbunten Baustellenabsperrungspylonenhüten.

„Von irgendwo hoch über den alten Hügeln unserer Heimat wird die Liebe kommen, um zu siegen“: Alte Hügel? Im Londoner East End? Da nämlich kommen die Kristallkämpfer her, die dann doch eher Spiegelfechter zu sein scheinen, auch wenn Laure wirklich Großeltern in der autonomen spanischen Provinz Navarra haben soll.

Animal Collective trifft Empire of The Sun trifft Soulwax trifft New Model Army trifft Klaxons, und schon ist der Tanzboden voll und die Musik immer noch nicht beschrieben. Die fünfköpfige Truppe selbst spricht von Emotronic-Folk, aber wem nutzt das? Dancefloor-Hippies hat sie jemand getauft.

Das Txalaparta, ein Klangholz aus dem – was sonst – Baskenland, setzt tachyokardische Kontrapunkte zu Ufftabass und Rechnerbeat. Auch eine Schnabelflöte namens Txistu erklingt, und wenn gesungen wird, ist ein hispanischer Akzent nicht weit. Oder doch ein euskarischer, wie die Basken ihre eigene Sprache nennen? Vielleicht waren die Fighters auch nur zu oft auf Ibiza. Hoffen wir mal, dass der Bandname mit N-Methylamphetamin alias Crystal Meth nichts zu tun hat.

Star of Love ist das lange angekündigte Debütalbum der Band, um die Dank Konzerten, Fernsehauftritten und Singles schon einiger Hype herrscht. Jeder DJ mit Spürnase hat 2010 bereits tanzwillige Körper mit Crystal-Fighters-Tracks beschallt. Denn deren Musik taugt hervorragend für schwüle Tanznächte an balearischen (oder eben baskischen) Stränden und bringt Sonne in die winterliche Großstadtdisko.

In letzterer erklingt dann eben I Love London, dessen Text aus den Namen Londoner Bahnstationen auf dem Weg von Party zu Party besteht: „Willesden! Harlesden! Watford Junction!“ Für das gepflegte Abhängen auf dem Handtuch ist flockige Flachware wie Plage dabei, und für laue Laune säuseln Frauenstimmen in At Home harmonieseliges Lalala (oder doch Nanana? oder ist das jetzt wieder Baskisch?).

Lo-Fi-Geräusche erden instrumentenselige Produktionsorgien mit choralen Vokalausbrüchen. Einige der technoideren Tracks zitieren aus den neunziger Jahren auch den schlechten Sound, das muss man schon abkönnen. Und fürs morgengrauende Lagerfeuer aus gesammeltem Strandgut, ob im mediterranen Wortsinn oder im sperrvermüllten Metropolenhinterhof, sind die akustischen Bonus-Tracks gut. Dass Star of Love ein Akronym für „sol„, spanisch Sonne, sein könnte, flüstern Band und Label in jede Besprechung. Also dann: Irgendwann muss der Frost ja mal weichen.

„Star Of Love“ von Crystal Fighters ist erschienen bei Different/Pias.