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Auf einen Bio-Rotwein mit Michael Stipe

 

Dass sich R.E.M. kaum verändert haben, mag mancher langweilig finden. Aber ihr neues Album verspricht Sicherheit in wankelmütigen Zeiten.

© Anton Corbijn

Es ist schon lange her, da las ich irgendeine Kritik des damals neuen Rolling-Stones-Albums. In der wurde beschrieben, wie ein namenloser Studienrat für Mathematik in seinem VW Passat vor dem örtlichen Plattenladen vorfährt und die Vinyl-Platte kauft, dann nach Hause fährt, die Stones hört und zufrieden feststellt, dass sie sich wie immer anhören. An den Stichworten Passat, Vinyl und Plattenladen mag ungefähr abzuschätzen sein, wie lange das schon her ist, und auch die Kritik gab es tatsächlich nur gedruckt.

Deswegen konnte ich meine ehrliche Entrüstung über soviel Dinosauriertum auch nicht als Kommentar im Netz hinterlassen. Dafür aber könnte ich heute problemlos die Kritik von damals plagiieren. Man müsste nur ein paar Worte austauschen: Aus dem Passat würde ein Volvo, aus dem Plattenladen der Online-Shop und aus den Rolling Stones würden R.E.M.

Collapse Into Now ist das 15. (in Worten: fünfzehnte) Album der Band aus Athens, Georgia, seit 1983. Es wurde aufgenommen in Nashville, New Orleans und auch in den Hansa-Studios in Berlin. Als Gastsänger sind Eddie Vedder von Pearl Jam und Joel Gibb von den Hidden Cameras dabei.

Das Ergebnis klingt manchmal, so in That Someone Is You, tatsächlich wie ganz früher, als die Band aus ihrer großen Liebe zu den Byrds keinen Hehl machte und nebenbei den College-Rock erfand. Hin und wieder, in Überlin beispielsweise, erinnert es auch an die mittleren R.E.M., als sie mit Hymnen, in denen das Ende der Welt beschworen wurde, Stadien beschallten und den College-Rock zum massenkompatiblen Alternative-Rock beförderten, während durch die Presse ging, dass die Bandmitglieder in getrennten Bussen zu den Konzerten anreisten, weil sie sich nicht mehr ertragen konnten.

Viel öfter aber drängt sich der Eindruck auf, der schon die vergangenen Jahre herrschte, dass sich der Sänger Michael Stipe und der Gitarrist Peter Buck zwar wieder zusammen gerauft haben, aber seitdem nicht so richtig wissen, wozu das eigentlich gut gewesen sein soll.

Irgendwie immer da gewesen zu sein, das ist auch im Jahr 2011 nicht unbedingt ein überzeugender Grund, weiter zu machen. Es gibt aber, das muss man zugeben, Produzenten und Konsumenten in diesen wankelmütigen Zeiten eine gewisse Sicherheit. Dieser Umstand führt dazu, dass Collapse Into Now keine Enttäuschung geworden ist. Der andere: Im Gegensatz zum letzten Album Accelerate, das vor drei Jahren durch einen etwas aufgesetzt wirkenden Zorn zumindest zu überraschen wusste, reaktiviert Collapse Into Now eher diesen schluffigen Ausdruck, mit dem R.E.M. die weltverdrossene Antriebslosigkeit der sogenannten Generation X in den achtziger Jahren so hübsch in Töne fassten.

So jängeln Bucks Gitarren ganz herzallerliebst durch das wundervoll harmlose Oh My Heart, und Stipe singt in Überlin angemessen müde über die Verwunderung, die ihn befiel angesichts der jugendlich aufgeregten, selbstverliebten Stimmung in der deutschen Hauptstadt. Zumindest diese beiden Songs haben zweifellos das Zeug, zu Klassikern im R.E.M.-Kosmos zu werden. Grund genug also, das aktuelle Projekt mal kurz ruhen zu lassen, das Kind ins Bett zu bringen, eine Flasche von dem Bio-Rotwein zu entkorken und mal wieder einen Abend mit R.E.M. zu verbringen.

„Collapse Into Now“ von R.E.M. ist erschienen bei Warner Music.