Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Zucker ist ein Tonträger

 

Cut Copy sind im Besitz der Weltformel für den perfekten Elektropop. Fast bedauerlich. Ihr Album “Zonoscope” könnte ein paar Rechenfehler gut vertragen.

© Rough Trade

Alles so schön zeitlos hier. Naja, mit Schwerpunkt in den achtziger Jahren. Synthiepop mit Beach-Boy-Vokalharmonien. Gut eingeweichte Technozitate zu dschungeligen Echtweltpercussions. Saturday-Night-Fever-Diskokugel mit beatleskem Psychedelohall an Jean-Michel-Jarre-Geblubber. Die Pet Shop Boys auf LSD prügeln sich mit den Stone Roses, die sich als New Order verkleidet haben, während O.M.D. mit den Thompson Twins verstecken spielen.

Was das bedeuten soll? Cut Copy sind im Besitz der Weltformel, die den perfekten Elektropop erzeugt. Der eine oder andere Rechenfehler täte allerdings ganz gut.

Sie müssen einen Riesenspaß gehabt haben in jener Lagerhalle in Melbourne, wo sie in der Entstehungsphase ihres dritten Albums Zonoscope zwischen Matratzenpyramiden zur akustischen Abschirmung mit haufenweise altem Studioequipment herumspielten. Dan Whitford hatte es vor allem der Schlagwerkpark angetan: “Wir benutzten alle möglichen komischen Bongos, Rototoms, Congas, zehn Sorten Shaker, 15 verschiedene Cowbells, alles und jedes. Sogar Weinflaschen mit verschieden hohen Wasserfüllungen.”

Pharaohs & Pyramids, Blink And You’ll Miss A Revolution, Hanging Onto Every Heartbeat: weiche Tanzpophymnen mit einer Extraportion Hall, dezent überkitscht – Zucker ist ein Geschmacksträger. Das Album beginnt mit Need You Now in sphärischen Klängen, die umgehend ins Rhythmische changieren; radioinkompatible sechs Minuten lang brummt, schmeichelt und raunt Whitford aus den Boxen. Und die Platte endet mit dem Elektro-Epos Sun God, das die Australier im Konzert bisweilen als gute Gelegenheit zum Pinkelngehen ankündigen: 15 Minuten mäandernde Sounds zu pulsierenden Beats. Sanft arrangierte Stimmungsschwankungen, wie sie die Pharmaindustrie nicht besser hinbekommt.

Aufgenommen haben Cut Copy das Album in Atlanta mit Ben Allen, der auch schon für Animal Collective, Deerhunter und Gnarls Barkley an den Reglern saß. Der Sänger Dan Whitford – der das Projekt Cut Copy im Jahr 2001 startete, den Gitarristen und Samplerbediener Tim Hoey, den Schlagzeuger Mitchell Scott und den Bassisten Benjamin Browning später dazuholte – begründet die Zusammenarbeit so: “Ben kommt von einem anderen Hintergrund, hat in der urbanen Hip-Hop-Kultur angefangen und Atlantas Geschichte von Southern Music, Funk und Soul angezapt. Wir hatten echt Lust, uns in so etwas hineinzuwerfen, eher, als mit einem aus der House- oder Indiegitarrenwelt zu arbeiten.”

Denn das, die Gitarrengarage, ist der zweite Bezugspunkt der Band, wenn sie nicht gerade an Knöpfchen dreht. Zu hören etwa in der Single Where I’m Going: Zum dominanten Schlagzeug erklingen Gitarren. Auch This Is All We’ve Got oder die erste Single Take Me Over liebäugeln mit saitenlastigem Pop.

Zwischen Popcharme und Digitaltüftler-Appeal spielt sich Zonoscope ab, das mit seinem postapokalyptischen Cover – New York City, durchflutet von einem Wasserfall, montiert vom japanischen Künstler Tsunehisa Kimura – auch optisch auf die Breitwand will. In so fettpinselig aufgetragener Leuchtfarbe finden sich naturgemäß dünne Stellen: Nicht immer gelingt der Aufschwung aus dem glitzerbesprenkelten Alltäglichen ins strahlend Hymnische. Aber selbst da, wo Cut Copy mittelmäßig bleiben, sind sie nicht uninteressant. Nur ein paar Kratzer auf der glatten Oberfläche wären ganz schön.

“Zonoscope” von Cut Copy ist erschienen bei Modular/Rough Trade.