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Zwischen Autoscooter und Autotune

 

Endlich wieder Britney Spears! Ihr neues Album „Femme Fatale“ ist ein Meilenstein des noch jungen Genres Kirmes-Techno.

© Sony Music

Der gute, alte Promifehltritt – eine Zeitlang beherrschte niemand diese Disziplin so gekonnt wie sie. Ein Kleid aus Fleischbrocken? Hatte sie nicht nötig. Sie stieg einfach ohne Slip aus einer Limousine. Anstatt unschuldige Sesamstraßen-Puppen mit einem ausladenden Dekolleté zu verwirren, rasierte sie sich auf Entzug die Haare ab. Sie purzelte betrunken durch Hotelfoyers und stritt sich mit einem untalentierten Nichtsnutz um das Sorgerecht ihrer Kinder. Rückblickend erscheinen Britney Spears‘ Eskapaden in einem romantischen Licht.

Nebenbei spielten der eine oder andere Hit und die Hochleistungstourneen die notwendigen Millionen ein, um das Familienunternehmen Spears am Laufen zu halten. Auf Britney war Verlass. Niemand musste sich sorgen, dass sie die Welt plötzlich als Gender-Theoretikerin oder mit einem Folk-Album überraschen würde. Ein Netzvideo, in dem Britney Spears Oops, I Did It Again auf dem Klavier dekonstruiert? Nimmer.

Still ist es um sie geworden, und haben wir sie nicht vermisst? Der Zeitpunkt für eine Rückkehr ist günstig, denn im Bootcamp des Ladies-Pop ist eine Stelle frei. Lady Gaga ist mit der täglichen Neuerfindung ihrer selbst ausgelastet. Pink schult um zur Akrobatin. Und während sich Madonna jegliche Relevanz in den Fitnessstudios dieser Welt abtrainiert und Katy Perry bunte Harmlosigkeit verbreitet, bleibt die Rolle der sympathischen Pop-Arbeiterin mit dem Hang zum Kontrollverlust unbesetzt.

Spears‘ letztes Album Circus ist schon vier Jahre alt. Die letzte gute Single hat man auch nicht sofort im Ohr. Trotzdem ergeht es einem mit der neuen Platte wie mit einer längst vergessen geglaubten Schulfreundin, die plötzlich in der Tür steht. Diese Freundin hatte einem mal ins Auto gekotzt und den Hund getreten, aber sie kannte immer die coolsten Typen. Britney, wie sieht’s aus bei dir?

Femme Fatale heißt das Album – ein klassischer Britney-Titel. Halb verrucht, halb langweilig. Auf dem Cover: Britney. Sie sieht aus wie immer, irgendwie sehr normal. Da wäre mehr drin gewesen. Aber dann haut einen die Platte um wie zehn glasierte Äpfel. Auf Balladen hat Britney nämlich keine Lust mehr. Zwölf Stücke lang pumpt, stampft, bummst es ohne Pause. Femme Fatale ist ein Meilenstein des noch jungen Genres Kirmes-Techno.

Und weil Autoscooter und Autotune einfach zusammengehören, wird Britney Spears‘ Stimme unentwegt neu verschraubt und mit klinischer Perfektion in alle erdenklichen Tonhöhen moduliert. Leider geschieht das immer in den unmöglichsten Momenten, aber wer interessiert sich hier nach zehn Sekunden noch ernsthaft für Melodien?

If you know what it takes to be a man / We can make love together / You can be my fuck tonight“ singt Britney Spears im Stück How I Roll. Man ist ein bisschen peinlich berührt ob solcher Zeilen. Es sei Britney gegönnt, sich einen netten Abend mit Freunden zu machen. Aber vom schwülen Sex solcher Geniestreiche wie I’m A Slave 4 U ist diese Platte weit erntfernt. Eher versprüht sie die Erotik missverständlicher Fummeleien in der Wilden Maus. Ständig muss man damit rechnen, dass jemand „Sojetztwiedereinsteigenfreundevorsichtesgehtlos“ in die Lieder brummt.

Aber es lässt sich dieser gnadenlosen Abfahrt sogar etwas abgewinnen. Hat man sich erstmal von den unnachgiebig ballernden Beats wegdrücken lassen, bleibt Raum für die schönen Ideen auf dieser Platte. Trip To Your Heart mit seiner Spieluhrmelodie und den Rave-Fanfaren hört man sich vielleicht sogar zweimal an, und Big Fat Bass ist prolliger Irrsinn voller geklauter Ideen. Auch deswegen ist Femme Fatale eine sehr komische Platte geworden. Und wie ein guter Kirmesbesuch ist sie nach 45 Minuten vorbei.

„Femme Fatale“ von Britney Spears ist bei Sony erschienen.