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Isländische Kita unterwegs nach Afrika

 

Reisen mit Latin, Jazz, Metal und Afrofolk: Die Teenager-Band Retro Stefson bricht von Reykjavík auf in ein Phantasialand der Stile.

© Universal Music

Wenn es das Regelwerk der Coolness gestatten würde, müsste eine Reihe aktueller Bands sich bei Elton John bedanken. Der zum Boulevard-Papa mutierte britische Sänger und Liedautor hat in den Songs zum Musical-Blockbuster Der König der Löwen reichlich Vorarbeit geleistet für das Comeback afrikanischer Klänge in der angloamerikanischen U-Musik. Das Ethno-Märchen über den Kreislauf des Lebens verdankte seinen Erfolg auch den Pop-Hits in den Farben der Zulu-Gesänge – ein Stück Kulturtransfer mit Paradiesapfelgeschmack.

In der Musik von Uni Stefansson blitzt dieses fabelhafte Afrika unserer Imagination für ein paar Minuten wieder auf, in Songtiteln wie Kimba, Senseni und Mama Angola. In jenen Soundteilchen, die Kenntnis der Hochkultur des Afrobeats verraten. Stefansson ist der Sohn einer angolanischen Mutter und eines portugiesischen Vaters, er wuchs in der isländischen Hauptstadt Reykjavík auf. Gesehen hat er von Afrika so wenig wie die sechs Kollegen seiner Teenager-Band Retro Stefson.

Die unterschiedliche Herkunft der Musiker hat sich längst in der gemeinsamen Sozialisation verwischt: Sie alle sind Ureinwohner des virtuellen Raums. Wo jeder Sound der Welt im Netz verfügbar ist, entstehen neue naive Musiken wie diese – Fusionen aus House, Metal, Latin, Jazz und Afrofolk, denen die Fröhlichkeit direkt ins Stammbuch geschrieben wurde. Das Cover des neuen Stefson-Albums Kimbabwe sieht aus wie das Foto vom Ende einer Kita-Aktionswoche zum Thema „Wir stechen in See“. Die Bandmitglieder in ihren bunt bemalten Leibchen und Badehosen thronen auf Paletten, die zusammen so etwas wie ein Floß abgeben. Schaut mal, das haben wir alles selbst gemacht!

Das Do-it-yourself-Design verweist auf das zentrale Prinzip der jungen Isländer: Umnutzung von Stilelementen. Die in die Songs drängenden Heavy-Metal-Gitarren sind Ausdruck erklärter Kindsköpfigkeit, die Breaks machen die Melodie. Es gibt Stellen im Klangkosmos der Stefsons, die wie die popgewordene Fortsetzung von David Byrnes und Brian Enos Found-Sounds-Klassiker My Life In The Bush Of Ghosts aus dem Jahr 1981 klingen: In der Collage erobern die Sounds neue Klang-Kontinente.

Kimbabwe ist der Fluchtpunkt all dieser Bewegungen, ein Phantasialand der Stile, in dem die Versöhnung der lange Zeit dominanten angloamerikanischen Popkultur mit ihren verstreuten Ursprüngen ein Stück weit vorangetrieben wird. Kimbabwe geht aber auch als Pippilotta-Witz aus dem Langstrumpf-Märchen durch: Dorthin wolle er auswandern, kündigte der Band-Bassist Logi an, als er seinen Job verloren hatte. Bevor er über „Los“ geht, nimmt er noch Lomax und Eusebio mit – soundgewordene Tagträumereien mit freundlicher Unterstützung von Wikipedia.

Im wirklichen Leben gehörten Uni und sein Bruder Logi Stefansson bis 2006 einer Hip-Hop-Band an, deren Mitglieder wie Miniaturausgaben von Sacha Baron Cohen über die Bühne huschten. Einen gefürchteten Hip-Hop-Tanz legen die Stefsons auch heute noch hin, live wird darüber hinaus am lebenden Soundkörper operiert. Das schicke Pop-Amalgam der Isländer befindet sich eben noch immer in der Phase der Erforschung.

Unerschrocken fusionieren die sieben Musiker. Entschieden drehen sie ihre Tracks ins Rauschhafte und Lärmige, lässig lassen sie die Gegensätze aufeinanderprallen. Die Hardrock-Anteile werden steigen, so viel kündigt Uni Stefansson an. „Tief im Inneren möchte doch jeder Musiker in einer Metal-Band spielen.“

„Kimbabwe“ von Retro Stefson ist erschienen bei Vertigo/Universal.

Aus der ZEIT Nr. 23/2011.