Och nö, schon wieder so ein Songwriter, der wie eine Million andere klingt? Nicht ganz: Grey Reverend aus New York ringt dem ausgeleierten Folkpop-Genre tatsächlich neuen Charme ab.
Läuft die Musik schon? Singt da überhaupt wer? Und falls ja, worüber genau? Bei einem gewöhnlichen Singer/Songwriter sollten solche Fragen eigentlich gar nicht erst aufkommen. Sänger und Schreiber, das verheißt ja konzentriertes Mitteilungsbedürfnis, die Quintessenz musikalischer Botschaften: ein Mann, eine Gitarre, ein Lied, zurücklehnen und aufgepasst! Aber gewöhnlich ist Grey Reverend nicht unbedingt.
Das Debütalbum des Komponisten aus Pennsylvania, der seit einiger Zeit mit dem britischen Electronicajazz-Projekt The Cinematic Orchestra auf Welttour ist, mag ja eines unter Myriaden unablässig entstehender Folkalben von Myriaden melancholischer junger Männer ohne Begleitung sein – es hat dabei eine ganz eigene Folkmelancholie. Of The Days ist eine Verwitterung seiner selbst, ein halbstündiger fließender Prozess des Ausdünnens, des Auflösens innerhalb der einzelnen Bestandteile und im Ganzen.
L.D. Brown, so lautet der echte Name des Predigers, er verflüchtigt sich förmlich im Laufe seiner ersten Platte. Von Anfang bis Ende, von Stück zu Stück gerät sie immer unbehauster, fahriger, zarter. Sie wird im siebten namens Box zeitweilig nebulös, im darauf folgenden Begging to Borrow nahezu inexistent und gerade dadurch seltsam substanziell.
Das liegt zum einen an Browns leicht quakiger, bisweilen fast brechender Stimme, die mit jedem Lied ein bisschen schwächer zu werden droht, gerade aus dem Fragilen allerdings spürbar Kraft schöpft, Nachdruck, eine merkwürdige Mischung aus Langeweile und Empathie. Es liegt zum anderen an einem unterschwelligen Country-Gestus, der schon in den vergleichsweise reizgefluteten Auftaktsong Altruistic Holiday hineinschwappt und sich auch fortan durch die anderen acht Stücke schleicht. Hier mal eine Lagerfeuermundharmonika, da mal ein Hillbillygezupfe, alles sehr subtil, oft kaum merklich, dennoch unüberhörbar. Und gerade diese Reminiszenz des Wahl-New-Yorkers an die Ursprünge des amerikanischen Heartlands, vielleicht verweist sie auf das dritte Alleinstellungsmerkmal von Grey Reverend: eine Art musikalischer Komik, eine gewisse Lakonie.
In Little Eli zum Beispiel kommt sie schon früh zum Tragen, besonders aber im letzten Song Road Less Traveled. Da schimmert eine Leichtigkeit im Anschlag durch, wie sie so vielen im Genre fehlt. Und es wirkt beinahe, als nehme sich L.D. Brown sogar ein wenig selbst aufs Korn, wenn er im Interview betont, seine Lieder seien „irgendwie weich und deprimierend“, um sodann rhetorisch nachzufragen, „was doch cool ist, oder?“
Nein, L.D., das ist es nicht, nicht cool, aber eben nicht uncool, was viele deiner Kollegen weniger von sich behaupten können. Of The Days mag nur ein Singer/Songwriting unter Hunderten, Tausenden, ach, Millionen sein – es ringt dem durchgespielten Genre durchaus neuen Charme ab, eine beschwingte Entspannung. Traurig sein kann man dazu natürlich trotzdem bestens.
„Of The Days“ von Grey Reverend ist erschienen bei Motion Audio/Ninja Tune.