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Triumph des knurrigen Kotzbrockens

 

Über die Jahre (62): Aus seinem Streit mit Metallica schöpfte Dave Mustaine vor 25 Jahren so viel Energie, dass er einen Klassiker des Heavy Metal schuf: Megadeths „Peace Sells…But Who’s Buying?“

© Kevin Winter/Getty Images

Und dann auch noch das. Wer Ende Oktober 1986 glaubte, das Jahr wäre nun endlich rum, der hatte sich getäuscht. Musste das denn sein? Hatte dieses Jahr 1986, das doch so geräuscharm mit der Ernennung von Alphons Egli zum neuen Bundespräsidenten der Schweiz begann, nicht schon genug abbekommen?

Was bisher geschah: Im Jahr 1986 entledigte sich Heavy Metal der trunkenen Schludrigkeit, schüttelte sich einmal kräftig, um dann sorgsam alles umzupflügen. Dafür reichten drei Platten aus Kalifornien. Im März hatten Metallica mit Master Of Puppets den Thrash Metal episch durchdekliniert, Im Oktober reichten Slayer ihr messerscharfes Album Reign In Blood ein. Im November sah der Kalender einigermaßen zerrupft aus. Aber es brauchte eine Platte wie Peace Sells…But Who’s Buying? von Megadeth, um das Jahr würdig zum Abschluss zu bringen.

Deren Chef Dave Mustaine war zu diesem Zeitpunkt schon einigermaßen von der Rolle. Erst kürzlich war er aufgrund seiner Alkoholexzesse und allgemeinen sozialen Unverträglichkeit bei Metallica rausgeflogen. Die wurden jetzt ohne ihn zu Superstars. Wer jemals das Zusammentreffen zwischen dem Metallica-Schlagzeuger Lars Ulrich und Mustaine in der grandiosen Doku Some Kind Of Monster gesehen hat, hat eine Ahnung davon, wie es in dem Mann gewütet haben muss. Seine Antwort auf die Demütigung hieß Megadeth – ein Name so groß wie Mustaines Wut. Eine von einem Mann gesteuerte Band, die nur von dem galligem Ehrgeiz angetrieben zu sein schien, es den einstigen Kollegen so richtig zu zeigen.

Von Beginn an umgab Mustaine die Attitüde des knurrigen Kotzbrockens, die sich mit schwarzem Humor und lakonischer Weltverdrossenheit mischte. Das zweite Album brachte den Durchbruch: Mustaine sah den nuklearen Ausnahmezustand der Reagan-Jahre dämmern, während seine eigenen Dämonen täglich einen drauf machten. Auf Peace Sells… kanalisierten sich all diese Visionen: paranoide Zukunftsängste, zynische Sozialkritik, überdrehte Gewaltphantasien. Wenn schon draußen die Welt auseinander fliegt, schaut erstmal in meinen Kopf!

Megadeths politische Schocktherapie zog weite Kreise: So wurde das Bass-Intro des Titelstücks zur Erkennungsmelodie der MTV Nachrichten. Megadeths Maskottchen – das verschweißte Skelett Vic Rattlehead – posierte auf dem Cover im Businessanzug vor der zerstörten UN-Zentrale. Megadeth erschienen plötzlich wie ein kaputtes CNN des Heavy Metal. Satan, Spekulanten, Politiker – in Mustaines Welt drehten sie alle an der großen Schraube in Richtung Fegefeuer.

Unter all den unzähligen harten Bands galten Megadeth schon immer als eine der anspruchsvollsten. Metallica konnten lang, Slayer konnten schnell – Megadeth konnten alles. Auf Peace Sells… schichten Mustaine und sein Co-Gitarrist Chris Poland Riff auf Riff, um in mathematischer Feinarbeit alles wieder zu pulverisieren. Dazu grault und faucht Mustaine so miesepetrig, als hätte man einen bockigen Teenager eben zur Berufsschule geweckt. Mustaines Wut ist längst in ein aggressives Pöbeln übergegangen, nur selten brüllt er sich die Seele aus dem Leib. Offenbar ist dazu viel zu abgenervt.

Trotz all der Genauigkeit und der beeindruckenden Fingerakrobatik – Megadeth konnten auch phänomenal grooven. So findet sich zwischen den Schnellfeuerattacken und Todesmelodien auch ein kleiner selbstironischer Wink: die brachiale Coverversion des Blues-Klassikers Ain’t Superstitious von Willie Dixon. Megadeth schufen einen Klassiker des Genres, gerade weil sie sich angesichts der nihilistischen Bilderwelten nicht allzu ernst nahmen. Durchdrehen, Fäuste recken, Kopf und Dosenbier schütteln – all das ging mit dieser Platte schließlich auch noch.

Dann kamen die neunziger Jahre, und alles wurde unübersichtlicher. Die Unruhe auf Peace Sells… erscheint allerdings heute wieder seltsam aktuell: Greece sells…but who’s buying?

Mustaine ist mittlerweile gläubiger Christ, gewinnt bei Popstar-Jeopardy mit Fragen zu Elton John und tourt mit seiner ehemaligen Widersacher Lars Ulrich. Der schreibt Megadeth nun schöne Texte für die opulente Jubiläums-Ausgabe und gute Wünsche ins Jahrbuch. Verkehrte Welt. Hätte man Ulrich das 1986 prophezeit, er hätte wohl nur übel gefaucht.

„Peace Sells…But Who’s Buying?“ von Megadeth ist soeben als „25th Anniversary Edition“ in einer luxuriös ausgestatteten Box bei EMI wiederveröffentlicht worden.