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Das Wunderkind ist erwachsen geworden

 

Zach Condon ist erst 25 und hat schon den ersten Teil seiner Popkarriere hinter sich. Als Beirut legt er nun sein wunderbares, konzentriertes drittes Album „The Rip Tide“ vor.

© Indigo

Man kann, hat sich Zach Condon wahrscheinlich gesagt, gar nicht früh genug anfangen, sich in Bescheidenheit zu üben. Wenn man gerade mal 25 Jahre alt geworden ist, aber schon eine ungemein erfolgreiche Karriere als Musiker hingelegt hat, macht sich ein wenig Demut sogar noch besser.

Also hat Herr Condon der New York Times gestanden, dass er sich all die Jahre, in denen sein Projekt Beirut allseits in den Himmel gelobt worden war, doch nur wie ein Dilettant benommen habe. Er, der vermeintliche Alleskönner, habe sich jeden Monat einem neuen Instrument gewidmet, anstatt eines wirklich beherrschen zu lernen. Deswegen habe er beschlossen, sich für sein neues Album The Rip Tide allein auf „Klavier, Ukulele und Trompete zu konzentrieren“.

Man mag diese Entscheidung kokett finden, weil sie all jenen Kritikern und Fans, die Condons bisheriges Schaffen so ausnehmend schätzen, unterstellt, sie würden Dilettantismus nicht erkennen, wenn sie ihn hörten. Man kann sich aber auch einfach freuen, weil die Folge dieser Entscheidung ist, dass The Rip Tide zu einer Art von Essenz von Beirut geführt hat.

Es ist noch alles zu hören: die balkanische Folklore und der Blues des weißen Mannes, die amerikanische Prärie und die ungarische Puszta, eine fröhliche mexikanische Beerdigung und eine melancholische französische Hochzeit. Aber im Gegensatz zum gefeierten Debüt Gulag Orkestar, bei dessen Erscheinen Condon erst 19 Jahre alt war, und dem üppigen Zweitling The Flying Club Cup gibt er sich nun weniger verspielt, reduziert das Klangbild aufs Allernötigste und beschränkt sich neben den angesprochenen Klavier, Ukulele und Trompete auf sorgsam dosierte Zusätze von Streichern und Orgel. Auch die zwischenzeitlichen Experimente mit elektronischen Klängen wie auf der vor zwei Jahren erschienenen Mini-LP March of the Zapotec/Holland, werden nicht fortgeführt.

Trotzdem klingt The Rip Tide reich und opulent, ja nachgerade luxuriös. Nur ist aus dem orchestralen Einmannprojekt nun ein einköpfiges Kammermusikensemble geworden. Die Reduktion geht für Condon einher mit einer Rückbesinnung auf die Wurzeln. Nach zwei Platten voller Songs, die nach fernen Orten und Plätzen in der ganzen Welt benannt sind, besingt er jetzt East Harlem und auch seine Heimatstadt Santa Fe.

Das kleine Städtchen in New Mexico hatte Condon als Teenager nach mehreren abgebrochenen Schulausbildungen nahezu fluchtartig verlassen, um einen Sommer in Paris zu verbringen. Dort tat er, was Amerikaner in der Fremde so tun, also vornehmlich sich über die vergleichsweise niedrigen Alkoholpreise freuen. Dort lernte er aber auch die Musik des Boban Markovic Orchesters kennen und fand damit den Anstoß zum Projekt Beirut.

Die Beschränkung auf das Wesentliche, die The Rip Tide nun markiert, mag eine Konsequenz der neu entdeckten Demut sein. Vielleicht ist sie auch nur eine schnöde Folge des Alters. Das ist auf jeden Fall Condons Stimme anzuhören. Nie klang sein Bariton fester und zugleich sanfter. In dieser Stimme, die zwar schon früher vor der Zeit gealtert schien, schwingt aber erst jetzt eine unheimliche Weisheit mit. Das Wunderkind ist erwachsen geworden.

„The Rip Tide“ von Beirut ist erschienen bei Pompeii/Indigo.