Chris Cornell besteht die Feuerprobe des akustischen Solokonzerts mit Bravour: Sein „Songbook“ versammelt die Höhepunkte seiner Karriere mit Soundgarden und Audioslave.
Ein paar Gitarrenakkorde reichen, schon verhallen Applaus und Jubelgeschrei. Über Torontos Queen Elizabeth Theatre legt sich eine andächtige Stille, die von Chris Cornells Bariton durchschnitten wird. „As hope and promise fade / And the sun forgets to rise„, singt der 47-Jährige und sorgt gleich für klare Verhältnisse. Diese Stimme ist eine geladene Waffe. Sie schraubt sich durch vier Oktaven, klingt mal heiser, dann wieder glockenklar. Verwandelt sich von einem Lüftchen in einen Tornado, der über die Prärie fegt. Und wer denkt, der höchste Ton sei erreicht, den belehrt der Sänger aus Seattle eines besseren.
Nichts als Stimme und Akustikgitarre: die Feuerprobe für jeden Musiker und jeden Song. Wie klingt es, wenn alles aufs Wesentliche reduziert ist? Ohne Band im Hintergrund, ohne aufwendige Soundeffekte. Cornell hat es im Frühjahr 2011 gewagt, ging allein und unplugged in Nordamerika auf Tour. Das Ergebnis ist ein Songbook, sein erstes Solo-Livealbum. Darauf Material aus den vergangenen zwanzig Jahren: Temple of the Dog, Soundgarden, Audioslave. Außerdem Solostücke und zwei Coverversionen.
Gesanglich besteht Cornell die Feuerprobe mit Auszeichnung. Wie er bei Call Me A Dog oder I Am The Highway die Stimme am Ende ins Falsett kippen lässt, ist grandios und sorgt für Gänsehaut. Jede Stimmakrobatik wird vom Publikum mit Szenenapplaus bedacht. Seiner angeblich in fünfzehn Minuten geschriebenen Grunge-Hymne Black Hole Sun gewinnt der Soundgarden-Chef ganz neue Seiten ab. Schon bei den ersten Klängen in Dropped-D-Stimmung rasten die Anwesenden aus. Und der Wechsel im Refrain zwischen Belting und ruhiger Stimme ist große Kunstfertigkeit.
Auf der Westerngitarre schlägt Cornell die Akkorde hart an, gezupft wird kaum. Kleine Fehler fallen dabei nicht ins Gewicht. Die Musik dient seiner Stimme als Bühne. Und das funktioniert. Man hört förmlich, wie gebannt das Publikum ist. Zwischendurch branden Begeisterungsstürme auf. „I love you!„, ruft eine Frau dem Sänger zu, bevor er seine beatleske Rockballade Can’t Change Me anstimmt. John Lennons Imagine – im Original ohne Gitarre – wird unter Cornells Händen zur zornigen Folknummer. Auch wenn der Antikriegssong nach vierzig Jahren eigentlich totinterpretiert ist.
Keine Überraschung ist seine Version von Led Zeppelins Thank You. Ähnlich erwartbar wäre nur Hey Jude – gespielt von Noel Gallagher. Zu den schwächeren Stücken zählen die meisten aus seiner Zeit mit Audioslave. Bei einem Hardrock-Stampfer fängt das Publikum sogar an, im Rhythmus zu klatschen. Meist kein gutes Zeichen. Der neue Song The Keeper – leider nur als Studioversion – gewinnt dagegen mit jedem Hören, vor allem durch den tollen E-Bow-Effekt.
Insgesamt ein schönes Livealbum mit vielen Höhen, einzelnen Schwächen und einer intimen Atmosphäre. Zuweilen hätten ein paar ruhigere Töne nicht geschadet und auch das Gitarrengeschrammel am Ende vieler Songs nervt irgendwann. Doch sobald der ehemalige Schlagzeuger im perfekten 6/4-Takt Fell on Black Days spielt und seine Stimmbänder malträtiert, ist man wieder hin und weg.
„Songbook“ von Chris Cornell ist erschienen bei Universal.