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Auferstanden aus Jazz

 

Hanns Eisler mal anders: Das deutsch-dänische Trio Kapital zeigt den Klassiker als Wanderer zwischen Hymnik, Rock und Jazz.

© Das Kapital

Im Booklet findet man eine Collage mit Dokumenten aus der Ermittlungsakte gegen Hanns Eisler, die das amerikanische FBI in den 1940er Jahren wegen „stalinistischer“ Spionage angelegt hatte. In ihrer zweiten Auseinandersetzung mit dem Werk des Schönberg-Schülers schlagen die drei Musiker mit dem seltsamen Namen Das Kapital den Bogen zwischen seinem nicht leichten Leben im amerikanischen Exil und seiner Rückkehr nach Europa, wo er bis zu seinem Tod 1962 hin- und hergerissen war zwischen seiner politischen Heimat, der DDR, und seiner familiären Heimat Österreich.

Anders als Heiner Goebbels und Alfred Harth in ihren Politisierungsversuchen aus den späten Siebzigern geht es dem dänischen Gitarristen Hasse Poulson, dem deutschen Saxofonisten Daniel Erdmann und dem französischen Schlagzeuger Edward Perraud darum, Eislers Werk vom ideologischen Ballast zu befreien.

Die drei konzentrieren sich auf die komplexen Akkorde, sie verzichten auf die Texte, um die Musik ganz für sich stehen zu lassen. Mal nehmen sie der einstigen DDR-Nationalhymne Auferstanden aus Ruinen das Pathos, mal beleben sie Eislers ironisch-süßliches Wienerlied als kühle, sperrige Klangarchitektur neu oder verwandeln sein Friedenslied von einer geklampften Lagerfeuer-Ballade in eine krachige Rock-Nummer.

Ihre Hausaufgaben in Sachen Jazz haben sie ohnehin gemacht. Sie wissen um die historischen Leistungen eines Sonny Rollins oder Max Roach ebenso wie um die eines Jan Garbarek oder Peter Brötzmann. Ihre instrumentalen Versionen der Lieder legen die verblüffende Nähe des Komponisten Hanns Eisler zum (Modern) Jazz offen – zum Beispiel durch dessen oft tonal ungebundene Harmonik.

Wie einst die Bebop-Revoluzzer in Minton’s Playhouse in New York Anfang der 1940er die Musical-Songs der Broadway-Theater zum Steinbruch für ihre rasanten Jazz-Experimente machten, so ist Eislers musikalisches Werk für Erdmann, Perraud und Poulson eine Fundgrube. Das Ergebnis ist die späte Ehrung eines Verfemten durch drei Nachgeborene, und dass sich nicht jedes Eisler-Lied aus seinem politischen oder zeitgeschichtlichen Kontext reißen lässt, nehmen sie in Kauf. Wen wundert’s, hat sich das Trio doch nach dem Marx/Engels-Klassiker Das Kapital benannt.


„Das Kapital plays Hanns Eisler – Conflicts & Conclusions“ ist erschienen bei Das Kapital Records/NRW.

Aus der ZEIT Nr. 50/2011