Aus dem Land der Hinterwäldler auf die flackernden iPods: Die amerikanische Folk-Frau Laura Gibson sucht die Zukunft in den Bildern der Vergangenheit.
Barfuß steht das Mädchen am Lagerfeuer, hat sich eine Decke um den Leib gezogen, ihr Blick ist geradeaus auf den Betrachter gerichtet. Und weil das Foto lange belichtet worden ist, zeichnen die Flammen wild gekrakelte Linien ins Schwarz der Nacht.
Das Cover der neuen Platte von Laura Gibson sieht aus wie eine Einladung zum spirituellen Geheimtreff oder eine Sequenz aus den besten Zeiten der amerikanischen Gegenkultur, die man einem Nebenschauplatz des Jahrzehntereignisses Woodstock im August 1969 entnommen hat. Aus den dunklen Wäldern im Hintergrund raunt es dem Publikum geheimnisvoll entgegen: Schaut her, das ist die Folk-Frau, die zur Akustischen greift und sich erst im Einklang mit der Natur und den Elementen erfährt.
Man mag das mit archaischer Ästhetik spielende Foto als Dokument der viel diskutierten Retromania sehen, jener Vergangenheitsfixierung in der Popkultur, die der Autor Simon Reynolds uns in seinem gleichnamigen Lesebuch über 450 Seiten erklärt. Was man bislang von Laura Gibson wusste, setzte sich leicht zu so einem Retro-Bild zusammen: die auf zwei CDs veröffentlichten Innenansichten der stillen Songwriterin, die den Hippie-Diseusen nacheiferte, und die Geschichte der aus einem kleinen Kaff in Oregon stammenden Künstlerin, die einen antiken Wohnwagen mit ihrer eigenen Hände Arbeit zum Aufnahmestudio umgebaut hat.
Eine amerikanische Outsider-Story ganz nach europäischem Geschmack, entstanden aus einem Drehbuch. Aus dem Land der Hinterwäldler spinnt sie sich in die flackernden iPods der Hörer fort. Laura Gibson lebt und arbeitet heute in der Alternative-Rock-Metropole Portland, wo sie mit aktuellen Szene-Granden wie Joey Burns von Calexico und Meric Long und Logan Kroeber von den Dodos ihr Album aufgenommen hat. Gibsons Musik entsteht zwar überwiegend auf akustischen Instrumenten, aber in den neuen Songs der Amerikanerin dürfen die Elemente sich an- und abstoßen, die polternden Drums und die Surf-Gitarren und die plinkernden Pianos; und in den Momenten, in denen mehr und mehr zusammenkommt, scheint das seltsam zarte Jaulen der Sängerin noch eben durch den voll beleuchteten Raum zu huschen, bevor es in einer Ecke liegen bleibt.
La Grande von Laura Gibson
Mit dem La Grande betitelten Werk ist Laura Gibson weit mehr als das nächste traditionelle Folk-Album im allgegenwärtigen Vintage-Sound gelungen, die 32-jährige Musikerin spielt sich mit verstreuten Zitaten und Referenzen gerade ein Stück weit aus dem Singer-Songwriter-Klischee heraus – auf teilweise unvermessenes Terrain.
Das Selbstvertrauen dokumentiert sich eindrucksvoll im Stück Lion/Lamb. Über einer raffinierten Montage aus Bossa-Beats und psychedelischen Flötentönen säuselt sie dem Liebsten mit der Emphase einer neu geborenen Croonerin zu: „Ich bin kein Lamm, ich bin ein Löwe.“ Mit den Steel-Gitarren in Skin Warming Skin öffnet sich der Raum über der Musik gewaltig, die Sängerin, die angekündigt hatte, ihre Schüchternheit mit ihren Liedern auszutreiben, lässt ihre Stimme durch eine Art Westernsoundtrack sprudeln: „Komm, komm, färbe all deine Visionen rot.“
Einmal begibt sich Laura Gibson, von scheppernder Percussion und einem kleinen Gospelchor begleitet, ans wärmende Campfire. Dort draußen erkundet sie schon das Kommende – aus den Erinnerungen ans Vergangene: „Als ich jung war, haben sie mir gesagt, dass die Zukunft ein Himmel aus Papier ist.“ Gerade hängt der Himmel für Laura Gibson voller Oboen, Hörner und Klarinetten.
„La Grande“ von Laura Gibson erscheint bei City Slang.
Aus der ZEIT Nr.52/2011