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Mach mir die Sintflut

 

Ein großartiges Album! Die Norwegerin Hanne Hukkelberg singt über SMS, Brot und Fantasie, trommelt sich durch ihren Besteckkasten und nähert sich der Arche Noah mit einer Schöpfkelle.

© Propeller Recordings

Wer kennt das nicht: Man bekommt einen Anruf auf dem Handy und niemand meldet sich. Stattdessen hört man das rhythmische Rascheln des Mobiltelefons in der Hosentasche. Aber daraus einen Song machen? Darauf kommt nur Hanne Hukkelberg. „SMS is more important than me„, singt die Norwegerin. Dazu ein simpler Gitarrenakkord und klopfende Schuhe – fertig ist der Song über die Kurznachricht.

Die anderen Stücke auf ihrem neuen Album Featherbrain sind nicht ganz so minimalistisch, aber mindestens so originell. Es ist ein großartiges Album! Im Titelsong klirrt die Kalimba wie Eiskristalle, eine einsame E-Gitarre taucht auf und wieder ab, im Hintergrund ein Clavinet. Mal erinnert der avantgardistische Mix an Radiohead, dann wieder an die Klanglandschaften von Bon Iver.

Im grandiosen Noah schraubt die studierte Jazzmusikerin ihre Stimme weit nach oben, streicht mit dem Violinbogen über die Westerngitarre. Für Rhythmus sorgen Steine, Scheren und Schöpfkellen, ihr Vater spielt dazu auf einer uralten Kirchenorgel. Bis am Ende alles in einer akustischen Sintflut untergeht.

Noah by Hanne Hukkelberg

Hukkelbergs viertes Werk ist eine wahre Klangwundertüte: Da wird mit Essbesteck getrommelt, es klappert und piept, in The Bigger Me pfeift ein Teekessel. Doch egal, ob Stephan-Remmler-Keyboard, Schrank oder Weingläser – die exzentrischen Sounds fügen sich stets zu einem organischen Ganzen. Und da ist ja auch noch ihr Gesang. Vielleicht liegt es daran, dass sie genau zwanzig Jahre nach Morten Harket in dessen Heimatstadt Kongsberg zur Welt gekommen ist: Ausdrucksstark und stimmgewaltig hält sie die ausufernden Songs zusammen, manchmal singt sie ganz ohne Begleitung.

Oh, my devils owning me / Or am I owning my devils?“ fragt sie und der Drumcomputer klingt nach bestem Achtziger-Pop. Als wollte sie meterdicke Wände durchdringen, vervielfältigt sie sich selbst zum Chor. Ein hingeworfenes „Ha!“ zwischen bedrohlichen Klavierakkorden, Gitarrenlärm und einem wilden Holzschuhtanz auf dem Tisch. Doch verkopftes Rumgefrickel ist das keineswegs.

Im fast achtminüten Too Good To Be Good lässt der Jazzgitarrist Ivar Grydeland sein Banjo wie Walgesang klingen. Gitarrensaiten spannen sich wie die Taue eines Schiffes, das schon abgelegt hat, obwohl es noch an der Kaimauer hängt. Vibrafon und Synthie-Bass treiben den Song voran, während Hukkelberg in die Hände klatscht. Manchmal erinnert das an den experimentellen Rock eines Tom Waits – nur eben in der weiblichen und dreißig Jahre jüngeren Version.

Hanne Hukkelberg – My Devils

Herzerweichend ist ihr Duett mit dem 88-jährigen Sänger Erik Vister. Das Klavier schräg gestimmt, im Hintergrund so etwas wie eine Zither. Im Feuilleton-Slang müsste man wohl sagen, das Stück klinge wie aus der Zeit gefallen. Tatsächlich ist es schlichtweg ein bewegender Song über die einfachen Dinge des Lebens: Wasser, Brot und Wärme. „Jeg eier min tid / Jeg eier min fantasi„, singen die beiden auf Norwegisch. „Ich besitze meine Zeit / Ich besitze meine Fantasie“ – wohl dem, der das von sich behaupten kann.

„Featherbrain“ von Hanne Hukkelberg erscheint bei Propeller Recordings (Soulfood).