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Schöne franzenglische Abgründe

 

Nachdem Stéphanie Sokolinski alias Soko 2006 die Myspace-Gemeinde verrückt gemacht hat, erscheint nun ihr Debütalbum: Ihr Lo-Fi-Pop dreht im Absturz noch ein paar Salti.

© Ilaria Orsini

In ihrem Myspace-Profil steht fast alles über Stéphanie Sokolinski: „halb folkig / halb punkig, halb französisch / halb polnisch, halb Schauspielerin / halb Musik-Nerd, halb singend / halb redend, halb träumend / halb tanzend, halb spaßend / halb tief, halb tränen erfüllt / halb verrückt, halb weise / halb Kind, halb orchestral / halb lo-fi, halb depressiv / halb freudvoll, halb lustig / halb anrührend, halb Katze / halb Tiger, halb sing-along / halb sing-alone, komplett wild, komplett vegan und immer unberechenbar“. Noch Fragen?

Wer Stéphanie Sokolinski ist? Na, Soko. Die Soko, die Ende 2006 mit einer Hand voll Songs auf Myspace einen Riesenhype auslöste. I’ll Kill Her erklettert die dänischen Charts. Soko wird Soundtrack für die Pariser Modenschauen von Stella McCartney. Hat Auftritte mit den Babyshambles, Adam Green und Soulwax.

Dann der Versuch, in den USA eine Platte aufzunehmen. Verzweifeltes Geblogge über die Künstlichkeit Amerikas und die Abgründe der Musikindustrie. Im Januar 2009 ändert Soko ihren Myspace-Namen in „Soko is dead“ und erklärt, sie habe die Nase voll vom Business. Es dauert Monate, bis sie sich wiederbelebt.

Erst jetzt erscheint ihr erstes Album, I Thought I Was An Alien. Soko hat ja auch noch einen Hauptberuf: Schauspielerin. Das ist die 1986 in Bordeaux geborene Stéphanie, seit sie diverse Schulen abbrach und mit 16 das Elternhaus verließ. Ihr Englisch hat einen dicken französischen Akzent.

SOKO :: First Love Never Die von SOKO

Für die Aufnahmen hat sich Soko einen Partner gesucht, der sich mit schwierigen Künstlern auskennt: Fritz Michaud hat mit Elliott Smith gearbeitet, bevor der depressive, drogenkranke Singer-Songwriter 2003 an zwei Stichwunden starb. Ganz so schlimm ist es bei Soko nicht, aber es heißt, sie habe große Angst vor dem Tod. Ihr Vater starb ohne Vorwarnung, als Soko fünf war. Sie verehrt Daniel Johnston, den manisch-depressiven Sänger-Künstler aus Texas.

Und so fängt das Album an: „You will discover me through my songs / learn my heartbreaks and fears and depression / hear all the cracks and the lack of talent / and I hope that you don’t hate me by then.“ Au weia: Herzbruch, Ängste, Depression, Sprünge, die Sorge ums Talent und die Furcht, dass wir sie hassen könnten. „Im Grunde ist alles, was ich tue, mich auf meiner Gitarre ausheulen“, sagt Soko.

Nein, gottseidank ist das nicht alles. Sonst könnte man das Album als düsteren Emo-Quatsch wegschmeißen. Hier ist nichts aufgesetzt oder abgeschmackt – aber: Wollen wir wirklich so tiefe Einblicke? Erträglich wird das zum einen durch den spielerischen Umgang mit eigenen und andrer Leuts Abgründen: Gut, wir stürzen ab, aber lass uns ein paar Salti drehen.

Und zum anderen ist die Musik wunderbar. Soko spielt Ukulele, Gitarre, Keyboards und Bass, meist minimalistisch, in hinreißendem Lo-Fi-Gewand, gelegentlich mit tickernder Drum-Maschine. Aber sie hat sich auch Gäste geholt, die gelegentliche Klangschönheiten in die rohe Zweieinhalb-Akkord-Musik schmuggeln. Die Mischung macht’s: grob geschmiedete Song-Kleinode, im Punkbad eloxiert, mit sparsamen Vergoldungen und Silberfiligran.

„I Thought I Was An Alien“ von Soko ist erschienen bei Warner Music.

Deutschland-Konzerte: 31. März, Berlin, Privatclub; 1. April, München, Ampere; 2. April, Wiesbaden, Schlachthof; 3. April, Köln, Gebäude 9; 4. April, Hamburg, Molotow.