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Last Man Standing

 

Die Popstile kommen und gehen, aber Paul Weller bleibt. Mit dem neuen Album „Sonik Kicks“ bricht Daddy Britrock auf in seinen dritten Frühling.

© Universal Music

Eigentlich müsste Paul Weller eine tragische Figur sein. Vor vier Jahrzehnten, als er mit The Jam das Erbe verfetteter Vorbilder auf ihren harten Kern reduzierte, war er Punk. Aber Punk riecht inzwischen wirklich nicht mehr gut. Er war ein verspäteter Mod, weil er bald lieber schwarze Musik spielte und elegante Kleidung schätzte. Aber für Roller von Lambretta gibt es heute kaum noch Ersatzteile. Und Cocktails schmecken auch ohne Style Council, mit denen er in den achtziger Jahren Cocktail-Pop produzierte.

Später wurde er als godfather of Britpop gewürdigt. Aber auch der Britpop ist vor der Popgeschichte längst zu einer Fußnote geschrumpft. Die Genres kamen und gingen wie die Gezeiten – nur Paul Weller ist geblieben, um sie alle zu verkörpern. Dass er unter der Last dieser Rolle nicht zur Karikatur verkümmert ist, liegt an Platten wie Sonik Kicks, mit programmatisch hartem „k“. Wem will er hier noch was beweisen?

Wie üblich von keinen Selbstzweifeln angekränkelt, bezeichnet er sein elftes Album seit 1992 selbst als „bahnbrechend“. Das ist es nicht. Eher klingt es, als blättere da einer im Fotoalbum seiner eigenen künstlerischen Sozialisation. Northern Soul, Swing, Jazz, Punk, Dub, Blues, Folkrock, Rock’n’Roll – alles da, alles wie immer. Nur löst Weller diesmal jedes einzelne Bild heraus, um es neu einzuscannen und einer digitalen Verfremdung zu unterziehen.

Selbst wenn er nur mit akustischer Gitarre zu neckisch auskeilenden Streichern singt, bleiben da Störgeräusche wie aus einem defekten Radio. Es ist, als blickten wir durch ein psychedelisches Prisma zurück in die Zukunft. Was sich dort abspielt, klingt überraschend vital, eingängig und trotzdem verdächtig nach teutonischem Krautrock. Around The Lake etwa ist ein fast akademisches Lehrstück darüber, wie viele melodische Schichten sich um ein stoisches Schlagzeug à la Can winden lassen. Das wütende Kling I Klang handelt vom Irakkrieg, der Titel verweist auf Kraftwerk und der hüpfende Rhythmus auf den Ska. Dazu hat Weller zwingende Melodien und dringliche Texte geschrieben, wie man sie lange nicht mehr von ihm gehört hat.

When Your Garden’s Overgrown ist eine rührende Verbeugung vor dem tragischen Kind Syd Barrett. That Dangerous Age ist mit seinen verstaubten Doo-Wop-Chören eines der lahmeren Stücke, war Weller aber offenbar wichtig als Protestsong in eigener Sache und biografischer Schlüssel zu seinem Spätwerk. 2010 heiratete Weller, weit über 50 und bereits mit fünf Kindern gesegnet, die 27 Jahre jüngere Hannah Andrews. Die hat ihm inzwischen Zwillinge geschenkt, die der stolze Vater allen Ernstes John Paul und Bowie genannt hat. Er ist, wie gesagt, wirklich in einem „gefährlichen Alter“.

Es könnte also sein, dass Paul Weller tatsächlich etwas zu beweisen hat. Vielleicht nicht sich selbst, vielleicht nicht einmal der britischen Öffentlichkeit – aber doch der jungen Frau, mit der er gerade in seinen dritten Frühling aufbricht. Und so gesellt sich zu den erlesenen Gästen auf Sonik Kicks neben seinen musikalischen Ziehsöhnen Noel Gallagher (Oasis) und Graham Coxon (Blur) auch die „Seelenverwandte“ (Weller) Hannah Andrews.

Auf Study In Blue singt sie so bemüht, wie Linda McCartney einst bei den Wings Keyboard spielte. Es gibt also keine künstlerische Notwendigkeit für das Album, was ihm nichts von seiner Wucht nimmt. Der Mann könnte ja auch gemütlich seinen Ehrensold als gutes Gewissen britischer Musik einstreichen, für Fred Perry noch mehr Polohemden entwerfen und ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Dann allerdings wäre er wirklich nicht mehr als eine tragische Figur mit einer komischen Frisur.

Sonik Kicks von Paul Weller ist erschienen bei Cooperative Music/Universal.

Aus der ZEIT Nr.12/2012