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Esbjörns Geist schaut vorbei

 

Die erfolgreichste Jazzcombo Europas verlor 2008 ihren Gründer durch einen tragischen Unfall. Jetzt erscheint das wohl letzte, posthume Album des Esbjörn Svensson Trios.

© Jim Rakete

Mit Esbjörn Svensson starb 2008 ein Phänomen im Jazz: ein klassisches Klaviertrio mit Popstar-Status. Der Gründer, Namensgeber und Frontmann des Esbjörn Svensson Trios – kurz und klein e.s.t. genannt – hatte gerade in Australien tauchen gelernt, als er in den Schärengärten nahe seiner Heimatstadt Stockholm tödlich verunglückte. 44 Jahre war er alt, und es ist ein bisschen gespenstisch, dass er jetzt akustisch wieder auftaucht.

Svensson, 1964 in Västerås am Mälarsee in Mittelschweden geboren, hatte von der Mutter das klassische Klavier, vom Vater den Duke Ellington geerbt. Der Sohnemann rockte im Probenkeller seines Gymnasiums mit rumpeligen Schulbands. Nach vier Jahren Klavierstudium in Stockholm gründete er mit seinem alten Kumpel Magnus Öström am Schlagzeug und dem Bassisten Dan Berglund 1993 ein Trio, das immer größere Räume füllte, zuletzt waren es Säle.

Die drei blieben auch im Trockeneisnebel kompromisslos verschrobene Improvisationsspinner. Trotzdem wurden die Grenzgänger zwischen Arvo Pärt, Deep Purple und Radiohead das erfolgreichste Jazzensemble Europas. Das US-Magazin Down Beat hob sie aufs Cover – als erste Combo von dieser Seite des Atlantiks.

e.s.t. waren auf dem Höhepunkt ihres Schaffens und ihres Erfolges, als Album Nummer Zwölf entstand, Leucocyte. Sie nahmen es im Januar 2007 auf, bei einer Pause auf einer Tour durch Asien und Australien in Sydney. Zwei Tage lang mieteten sie dort das berühmte Studio 301, jammten, entwickelten neue Stücke. Aus neun Stunden Musik destillierte Svensson Material für ein Doppelalbum oder zwei aufeinander folgende Alben. Dann starb er. Leucocyte erschien posthum, auf den Nachfolger warteten Fans vergeblich.

Bis jetzt. Im Oktober und November 2011 hatten Berglund und Öström den Verlust des Weggefährten soweit verarbeitet, dass sie das restliche Material durchhören und zum Album kompilieren konnten. Der Toningenieur Åke Linton hat es abgemischt, langjähriger vierter Mann des Trios. Daraus entstand das nun wohl wirklich letzte e.s.t.-Album 301.

Zwischen dem pianodominierten Behind The Stars und dem spielerischen Ausklang The Childhood Dream ist es ein Album aus einem Guss geworden, keine leichenfleddernde Nummernrevue. Ein letztes Mal erklingt die scheinbar auf Telepathie beruhende somnambule Improvisationssicherheit des Kreativkollektivs. Leichtfingrig spürt Svensson seinen geistreichen Motiven nach.

Ein Kernstück ist die zweiteilige, insgesamt fast 20-minütige Komposition Three Falling Free, die sich von träumerisch tastender Klimperei durch rätselhafte Trommeltrümmerlandschaften in abgespacete Progrocksphären hineinsteigert. Linton lässt es hallen, Berglund, Stadionrockgitarrist im Gewand des Jazzbassisten, schleift sein Instrument durch Verzerrer und Effektbatterie, Svensson bedient – neben „Electronics„, wie die beiden anderen auch – ein Transistorradio.

Nun ist es ja nicht so, dass der Bassist Berglund und der Schlagzeuger Öström seit Svenssons Tod Däumchen gedreht hätten. Berglunds Indie-Jazz-Supergroup Tonbruket gehört zu den besten schwedischen Jazz-Acts, und auch Öströms Album Thread of Life ist hörenswert. Das Leben geht weiter. Schön, dass der Geist von Esbjörn Svensson noch einmal vorbeigeschaut hat.

„301“ vom Esbjörn Svensson Trio ist erschienen bei ACT. Hörbeispiele vom neuen Album finden Sie hier.