Das Londoner Kollektiv Breton ist die Band der Stunde. Ihre Songs aus Versatzstücken von Hip-Hop, New Wave und Elektronika sind so großartig wie ihre Videoclips.
Im Grunde ist der Videoclip Geschichte. Mausetot. Im MTViva-Zeitalter bildete er über Jahre einen unverbrüchlichen Bestandteil zeitgenössischer Popmusik. Wie Gitarren, Synthies, Kuschelrock. Bis der natürliche Lebensraum des Videoclips durch Schadstoffe von Klingeltonwerbung bis Datingshow verpestet wurde, waren Bild und Ton längst zu einer Art Einheit verschmolzen.
Seither jedoch fristet der Videoclip ein artifizielles Nischendasein im Orchideenfach abstrahierender Kunst, die sich auch schon wieder der guten alten Gemäldemalerei zuwendet. Oder er wird als hochglänzender Jingle der Marketingmaschine R’n’B’n’Ballermannhiphop banalisiert. Ein PR-Instrument. Reklame. Adieu.
Da gleicht es förmlich einem Akt des Widerstands, wenn jemand wieder zusammenfügt, was so lange zusammengehörte, wenn sich Bands des Videoclips aufs Neue aus strikt musikalischer Perspektive bemächtigen und jenen korrespondierenden Sound zurückgeben, der ihm verloren gegangen schien. Eine dieser Bands, vielleicht die der Stunde, heißt Breton.
Ausgesprochen eher englisch als französisch, ist das Künstlerkollektiv aus der Südlondoner Hausbesetzerszene über die Visualität zum Klang gekommen, vom Film zum Ton. Auf seinem fabelhaften Debütalbum Other People’s Problems zeigt es nun, wie nah das Auge dem Ohr sein kann.
Denn das Quintett, bestehend aus den Remixern Roman Rappak, Adam Ainger, Ian Patterson, Daniel McIlvenny und Ryan McClarnon, hat elf bemerkenswerte Songs auf einer Platte vereint, die nicht nur zu einem Gutteil in brillanten Musikvideos visualisiert wurde, sondern umgekehrt im Akustischen eine Visualität erzeugt, die keines Bildschirms bedarf.
Dramaturgisch irgendwo zwischen technoidem Hip-Hop und modernisiertem New Wave, das Beste aus The Streets und Human League, wirkt Other People’s Problems in seiner hypnotischen Flächigkeit geradezu optisch. Es sind sprechende Bilder, die Breton im Kopf erzeugen – mit ihren Kameras, mit ihren Rechnern, mit ihrem gesamten Rhythmus. Zu einem kehligen, halligen, doppeldeutig düsteren Gesang, der an den großen Crossoverrapper Everlast erinnert, dessen Hit What It’s Like auch mal die Grenzen zwischen sensorischer und haptischer Wahrnehmung überwinden konnte, entstehen die Videoclips auch bei geschlossenen Augen. Kein Wunder: Ihr kreatives Zentrum, eine alte Bank im Londoner South East, nennt sich The Lab.
Überarbeitet im isländischen Studio von Sigur Rós, mit Effekten versorgt beim Düsseldorfer Soundtüftler Hauschka, abgemischt in Kooperation mit dem berühmten Warp-Label ist dabei eine seltsam aufwühlende Getragenheit entstanden, die nicht betulich, geschweige denn gelangweilt wirkt. Sie vereint die Analogie klassischer Instrumente mit Bretons Sammelleidenschaft aller nur erdenklichen Geräusche von der gewöhnlichen Geige bis zum Straßenlärm in einem Stück elektronischer Musik, das dichte Atmosphäre in Liedform gießt, Töne in Bilder, Bilder in Töne – Songs wie Videoclips mit Videoclips.
Diese Reminiszenz an alte MTViva-Zeiten ist zum Glück das einzig Gestrige an Betron. Der Rest ist gegenwärtig. Und gut.
„Other People’s Problems“ von Breton ist erschienen bei (Fat Cat Records)