Fiona Apples Exzentrik und Experimentierfreude erinnern doch sehr stark an den nuschelnden Whisky-Freund. Ihr neues Album bringt so wagemutigen Pop mit, man muss es hören.
Vergleiche zwischen Musikern sind ja immer so eine Sache. Aber beim Hören des neuen Albums von Fiona Apple drängt er sich geradezu auf: Die gebürtige New Yorkerin klingt wie Tom Waits‚ verstoßene Stieftochter.
Was Exzentrik und Experimentierfreude angeht, steht sie dem Whisky-Rauner in nichts nach. Ihr Haus in Venice verlässt sie nur, um ihren Pitbull auszuführen oder den Nachtklub um die Ecke zu besuchen. Musik hört sie angeblich kaum. Stattdessen schaut sie lieber Columbo oder fotografiert die Kolibris in ihrem Garten. Und als die 34-Jährige kürzlich sehr frustriert war, lief sie so oft einen Hügel auf und ab, dass ihre Knie einen Physiotherapeuten brauchten.
Als Trouble Makers – Unruhestifter – führt Apple sich und ihren musikalischen Partner Charley Drayton in den Credits auf. Schnell wird klar, was sie damit meint. Die Songs auf ihrem vierten Album haben mit Mainstream-Pop ebenso viel zu tun wie Katy Perry mit Free Jazz. Das fantastische Auftaktstück Every Single Night beginnt als abgründiges Wiegenlied. Samtweich tönt die Celesta und der Besen wischt über die Becken. „I just want to feel everything„, singt Apple – mal zerbrechlich, mal zornig. Im Refrain brüllt sie wie ein Maori beim Ritualtanz.
Viele der Songs bestehen nur aus ihrer Stimme, ihrem Klavier und Draytons unkonventionellem Schlagwerk. Dazu erklingen Autoharp, Marimba, Bouzouki und eine Stegharfe aus Westafrika. Unterlegt von Geräuschen, die beide mit ihren Aufnahmegeräten eingefangen haben: Hundegebell, Türknarren, schreiende Kinder auf dem Pausenhof. Und das Klackern von Kieselsteinen im Müllschlucker eines befreundeten Zauberkünstlers.
„I guess / I just / Must / Be a daredevil„, singt Apple ins linke Ohr des Zuhörers, ihre Altstimme überschlägt sich, bricht kurzzeitig weg. Den Rhythmus klatschen die beiden Musiker auf ihren Oberschenkeln, die Pauke donnert bedrohlich und auch die Klaviertasten müssen einiges aushalten. Intim bis zur Schmerzgrenze schickt sie ihre Hörer auf eine Bobfahrt durch ihre Gehirnwindungen.
Fast dissonant der Song über ihren Ex-Freund Jonathan Ames: Zwei Klaviermelodien laufen gegeneinander, das Schlagzeug klingt wie John Bonham beim Soundcheck. Im Hintergrund das metallische Klappern einer Flaschenfabrik.
Fiona Apple singt mit einer Phrasierung, die selbst Frank Sinatra in den Wahnsinn getrieben hätte. Sie haucht, sie krächzt, feuert die Worte ab wie Gewehrsalven. Welche andere Sängerin traut sich so was heute noch? In Periphery besteht der Rhythmus aus dem Geräusch ihrer Schuhe auf sandigem Asphalt. Später aus dem Klang einer Schere auf diversen Gegenständen ihres Schreibtischs.
Jazz, Boogie-Woogie, Barockpop, Pianorock – Genregrenzen ignoriert sie gern. „We can / Do anything / We want„, singt sie im vielleicht zugänglichsten Song, der direkt auf das wütend-verletzte Regret folgt. Sporadisch begleitet von Pauke und Klavier folgt am Ende ein Barbershop-Duett mit ihrer älteren Schwester Maude. Immer wieder singen die beiden den Satz „If I’m butter, then he’s a hot knife„. Die Gesangsspuren türmt Fiona Apple so hoch übereinander, dass einem schwindlig wird. Wagemutig, einzigartig, intensiv: So ein Album hat man dieses Jahr noch nicht gehört.
„The Idler Wheel Is Wiser Than the Driver of the Screw and Whipping Cords Will Serve You More Than Ropes Will Ever Do“ von Fiona Apple ist erschienen bei Sony Music.