Mike Rosenberg besingt die Sehnsucht nach der Landstraße im urbanen Beton. Als Passenger hat er ein Soloalbum veröffentlicht mit wunderbarem, entgrenzendem Cockney-Folk.
Cockney ist ein sonderbares Gemisch. Der britischste aller Dialekte rüttelt sein Ursprungsidiom durcheinander wie ein Mixer klebrige Backzutaten. Er macht aus Englisch unverständliches Kauderwelsch, aus Sätzen obskure Schüttelreime, aus Worten Brei, aus Silben Diphtongs und aus Buchstaben ganz andere. Vor allem aber macht dieser uralte Londoner Slang aus Musik nicht selten solche, die tief aus dem Inneren des Magens entspring, Bauchmusik oder, tja, ähm, Darmmusik.
Wenn man sein Cockney allerdings vom Brightoner Geburtsort übers zwischenzeitliche Hauptstadtexil ins australische transponiert und dort so lang durch die Backentaschen mahlt, bis man Downunder tolerabel wird, entsteht daraus ein Akzent, den es so nur einmal gibt auf Erden.
Es ist Mike Rosenbergs Akzent, ein grundlegend musikalischer, ein vertrackt eingängiger. In seiner Band Passenger hat er ihn schon vor rund zehn Jahren zu urbanem Folkpop kultiviert. Jetzt ist Rosenberg allein als Passagier unterwegs und greift auf seinem Soloalbum All The Little Lights nach den Wurzeln des Singer/Songwritings, geht auf im suchenden Herumstromern. Etwas wunderbar Betörendes wird daraus, etwas altes Neues, eine Melange aus Countrytradition und Popmoderne. Nennen wir sie urbane Tramp-Music.
Elf Studiostücke und ein hübsches Live-Juwel lang pflegt Passenger seinen aufgeladenen, wort- und gestenreichen Minimalismus, der die permanente Sehnsucht nach Weite im Begrenzten, nach der Landstraße im städtischen Raum erdet, ja, betontauglich macht.
Mit seinem nasalen, verwaschenen, aufgeklarten Cockney-Singsang erzählt Mike Rosenberg unablässig von Löchern in der Tasche, der Null auf dem Konto, viel Platz im Herzen und Horizonten vor Augen. Von Schlaflosigkeit, Haltlosigkeit, Rastlosigkeit, einer tief empfundenen Unruhe, die ihn umtreibt und antreibt, aber ihn und uns nicht nur aufwühlt, sondern umgekehrt: mäßigt, runterbringt.
Keep On Walking – das beschreibt (oder fordert) er nicht nur im gleichnamigen Titel, es strömt förmlich durch seine Blutbahnen und überträgt sich auf den Hörer.
Dieses Antreibende, gleichsam Sedierende findet sich auch in der metropolitanen Hippeligkeit von Mike Skinner alias The Streets oder Ben Howards Südlondoner Lagerfeuerlyrik, in Kate Nashs schnodderiger Chuzpe und dem Feenhaft Selbstbewussten an Lily Allen.
Hier aber, bei Passenger, ist es weit mehr als Sprache, Dialekt und ein paar „cos“ statt „because“ im Songbook; es scheint die Quintessenz des Folkpop in der Gegenwart zu sein: Wer sich mit All The Little Things ein wenig Zeit gibt, Zeit zum Innehalten, der findet seine Mitte auch auf einer Verkehrsinsel im Feierabendverkehr.
Es ist Straßenmusik ohne den Gestus des Desperaten, Singer/Songwriting ohne das zugehörige Pathos, dabei sehr britisch, ohne auf der Insel hängen zu bleiben. „Staring at the Stars“ singt Mike Rosenberg im dritten Lied und rührt dabei ein paar Bläser unters Banjo. Er meint die Sterne am Himmel. Und die der Großstadt. Dank ihm kann man sie alle sehen.
„All The Little Lights“ von Passenger ist erschienen bei Embassy of Music.