Antony Hegarty legt sich auf ein Polster aus Streichern: Mit großem Orchesterpomp lässt er seine Hits vergolden. Etwas zu üppig, aber diese Stimme!
Seien wir ehrlich: Geigen sind auch kein Allheilmittel. Klar, klassische Musik kommt nicht ohne aus. Auch einige der schönsten Momente in der Popgeschichte sind weich ausgepolstert mit Streichern. Und sieht man mal von Metallica ab, hat es eigentlich auch meist ganz leidlich funktioniert, wenn Rock- oder Popmusiker meinten, ihre ganz okaye Rock- oder Popmusik unter Zuhilfenahme eines Orchesters mit höheren Weihen zu versehen.
Aber nun meinte Antony Hegarty, seine eh schon zur Breitwand neigenden Songs müssten sogar noch breiter, aus Cinemascope müsste nun dringend 3-D werden. Cut The World, das neue Album von Antony & The Johnsons, ist ein großer Rundumschlag: einerseits Best-of-Sammlung, andererseits Live-Album. Außerdem der Versuch, sich endgültig für den Pantheon der Hochkultur zu qualifizieren, und ganz nebenbei auch noch ein politisches Statement.
Puh. Das ist dann doch zuviel des Guten. Vor allem musikalisch: Schließlich waren auch die bisherigen Alben des wie aus dem Jenseits herüber singenden New Yorkers bereits recht üppig ausgestattet mit Klavier und Cello und einem watteweichen Klangbild. Nun, zusammen mit dem Danish National Chamber Orchestra im vergangenen Jahr in Kopenhagen vor Publikum live eingespielt, wird der Kammerpop aufgeblasen zum Orchesterpomp.
Es ist zwar nicht so, dass die dänischen Musiker allzu sehr übertreiben. Meist halten sie sich zurück, lassen Antonys einmaliger, geschlechtsloser Stimme ausreichend Platz und legen nur selten mit voller, 42-köpfiger Kraft los. Aber trotzdem: Die Buttercremetorte bekommt einen zusätzlichen Zuckerguss. Das mag ein Freudenfest sein für Kohlehydratfans, wirklich nötig war es nicht.
Bisher unveröffentlicht ist ohnehin nur der Titelsong Cut The World, ein typisch episches Stück Pop, das sich hübsch in Antonys bereits existierenden Kanon einfügt und für Robert Wilsons Bühnenstück The Life and Death of Marina Abramovic geschrieben wurde. Ansonsten finden sich auf dem Album mittlerweile zu Klassikern gewordene Songs wie You Are My Sister, I Fell in Love With a Dead Boy oder Another World, allesamt unnötigerweise aufgemotzt. Und wie das mit Best-of-Alben so ist, könnte man nun an der Auswahl herumkritteln und einzelne Titel vermissen.
Ebenfalls neu, allerdings kein Song, ist Future Feminism, eine achtminütige Zwischenansage, in der Hegarty relativ humorvoll („Ich bin eine Hexe, ich habe mich selbst entttauft“) und wohl auch leicht ironisch erklärt, wie seiner Meinung nach die Welt noch zu retten wäre. Kurz zusammen gefasst: Schuld daran, dass alles auf die Zerstörung des Planeten hinausläuft, ist das Testosteron, und wenn erst mal die Frauen die Sache übernähmen, könnte doch noch alles gut werden.
Die Esoterik, das darf man ihr zugute halten, kommt in diesem Fall zumindest recht charmant daher. Aber lieber hört man Antony natürlich singen. Hört ihm dabei zu, wie er mal wieder versucht, die Schwerelosigkeit zu vertonen. Wie er Melodien singt, die Krüppel heilen können, Blinde sehend machen und Tote zum Leben erwecken – oder doch zumindest versteinerte Herzen wieder erweichen.
„Cut The World“ von Antony & The Johnsons ist erschienen bei Rough Trade/Beggars Group/Indigo.