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Versierter Pop für die Masse

 

No Doubt, das waren doch diese legendären Fun- und Funk-Punker aus den Neunzigern. Die Zeiten sind vorbei! Ihr Comeback-Album löscht die besten Erinnerungen aus.

© Billy Kidd

Es ist immer wieder etwas Besonderes, wenn die ganz großen Missverständnisse aufgelöst werden. Dass der Pluto zum Beispiel ein Planet ist, dass soziale Netzwerke die Menschen vereinen, dass schwarze Präsidenten bessere Politik machen oder – ein paar Nummern kleiner – No Doubt so was wie Punkrock machen, ergo: so was wie Punkrocker sind.

Irgendwie dachte man das damals, als die kalifornische Band ums atemberaubende Rrriot-Vamp Gwen Stefani mit ihrem dritten Album Tragic Kingdom nach zehn leidlich erfolgreichen Undergroundjahren 1995 die Hitparaden der Welt stürmte; als ihre skabasierte Skater-Party-Hymne Just a Girl frischen Wind in die aufkommende Post-Grunge-Behäbigkeit blies und den nett gemeinten Irokesenschnitt mittelschichtentauglich machte, lange, bevor David Beckham daraus einen Bravo-Gimmick machte, kurz nachdem Green Day heavy durch MTV rotierten.

Wow, dissidenter Stadionrock mit Feuilletonappeal, dachten viele. Schien da doch eine dritte Welle des Ska als wasserstoffblondierter Funkpunk über den globalen Pop zu rollen. Aber wie gesagt – damals war Pluto ja noch ein ernstzunehmender Planet, kein lahmer Felsbrocken im All. Denn wer sich Push And Shove, das fünfte oder sechste (da sind die Quellen ungenau), jedenfalls aktuelle Album des Sexbombensolos mit Männerbegleitung anhört und für gut befindet, muss sich entweder eingestehen, diesem wirklich großen Missverständnis anheim gefallen zu sein, No Doubt sei eine alternative Band. Oder eigentlich Lady-Gaga-Fan zu sein.

Denn mit der lustigen Offbeat-Anarchie früher Jahre haben die elf gefälligen Tracks so viel zu tun wie Fürstin Gloria von Thurn und Taxis mit Johnny Rotten. Es sind Artefakte der Perfektionierungsmaschinerie eines Mark „Spike“ Stent, der von Lily Allen bis Kylie Minogue alles produziert, was Arenen füllt, und in angesagten Großclubs reüssieren mag, auf schmutzigen Bühnen indes Bierflaschenwürfe provozierte.

Die Singleauskopplung Settle Down klingt zum Auftakt verteufelt nach der Erkennungsmelodie einer Fußball-WM; Looking Hot im Anschluss erinnert noch verteufelter an Madonnas Angriffe aufs Altern; One More Summer sodann hat die heiße Gwen von ihrem Solo-Abstecher in den R’n’B unter die alten, neuen Kumpels geschleust. Und so geht es weiter: Alles ist versiert produziert, alles ist ungeheuer geschmeidig, alles geht sofort ins Ohr, atmet die Kraft von Stefanis famoser Stimme, ist versierter Pop für die Masse. Aber nichts daran ist Punk, Ska, Rock, Wave, Spaß, Beach oder Skate, geschweige denn neu, bemerkenswert oder irgendwie independent.

Gut, das waren No Doubt genau betrachtet nie. Ihr Durchbruch kam in einer Phase, da der Gitarrenanalogie mal wieder der Untergang prophezeit wurde, und er endete zehn Jahre darauf, als maßgebliche Rockmusik vor allem britischen Akzent sang. Aber im kollektiven Gedächtnis des Pop bleiben No Doubt eben doch als hüpfende Funpunks von einst, nicht als blondes Gift in Killerheels. Ein Missverständnis, wie gesagt, kein schlimmes. Den Planeten Pluto vermisst man mehr.

„Push And Shove“ von No Doubt ist erschienen bei Universal.