Eines der wichtigsten Techno-Alben dieses Jahres: Ricardo Villalobos, der Promi unter den DJs, wagt die offene Form und lässt den Hörer durch dichte Rhythmen spazieren.
Ricardo Villalobos. Der Name genügt. Falls nicht: größter DJ-Star der Nullerjahre, entsprechende Buchkapitel sind schlicht mit „Der Ricardo“ überschrieben. In der Fulltime-Reportage 24h Berlin sieht man Villalobos als einen der Hauptprotagonisten, woraufhin im Internet sofort über seine Studiolautsprecher diskutiert wird. Ein Dokumentarfilm von Romuald Karmarkar ist in Planung. Die Stories, Schnurren und Legenden: Ohrenzeugen berichten von 20-stündigen DJ-Sets, Augenzeugen über Exzess und Abstürze. Gibt man Villalobos bei Google ein, erscheint gleich daneben der Begriff „Drogen“. Volles Promi-Sperrfeuer.
Zugleich ist Ricardo Villalobos einer der innovativsten Produzenten. Nur wenige DJs erforschen derart besessen die Schnittstellen von Rhythmik und Klang, loten mit ihren Platten die Grenzen elektronischer Tanzmusik beständig neu aus. Im vergangenen Jahr hat Villalobos gemeinsam mit Max Loderbauer den Katalog des renommierten Jazz-Labels ECM geremixt. Das hat nicht allen gefallen, warf aber ein längst überfälliges Schlaglicht auf Villalobos‘ Kurs abseits seiner Clubhits.
Sein neues Album Dependent and Happy konzentriert sich wieder ganz auf Erkennbarkeit im Sinne des Dancefloors. Auf elf Stücken (die LP-Version enthält mehr), die einander in einem langen Mix umfließen, dehnte Villalobos die Vokabeln Techno und House bis zur höchsten Spannung. Vieles erkennt man wieder: die improvisierten Daddeleien, das bisweilen verpennte Dahinrauschen und die Liebe zum frickeligen Detail liegen wie eine flüchtige Skizze unter dem Album. Darüber aber entstehen Wellen eines unglaublich agilen Grooves.
Ricardo Villalobos – Mochnochich
Dieser Groove beginnt gleich nach dem Titelstück Mochnochich und hält die restlichen 73 Minuten an. Synkopisch verspielter Jazz umtänzelt die Beats und Sound-Schnipsel ebenso wie die rasselnden Percussions aus Villalobos südamerikanischer Heimat. Dependent and Happy ist eine große Trommelplatte. Villalobos programmiert sie als kippelnde Minimal-Techno-Beats oder spielt sie live in die Rillen des 4/4-Groove. Drei Stücke hat er mit Loderbauer produziert, die nicht unbedingt zu den allerstärksten des Albums gehören. Umständlich und atmosphärisch klingt es da. Villalobos gewinnt immer, wenn er einfach nur spielt, sich in den unendlichen Varianten einer Schlagzeugfigur oder eines Basslaufs verliert. Melodien bleiben auf dieser Platte ohnehin eine abstrakte Angelegenheit.
In I’m Counting mit seinen funky zirkulierenden Tablas und der gesampelten Vorzähler-Stimme bringt er die Platte auf den Punkt. Mit Zuipox schlägt er sich tief in den Dschungel dieses Albums vor und lässt Urwaldgeräusche um kräftigen Techno schwirren. Den plötzlichen Regenschauer macht Villalobos zum Instrument und lässt ihn die Beats gründlich auswaschen für Die Schwarze Massai. Ricardo runs the Voodoo down.
Es gibt viel zu hören auf Dependent and Happy. Dennoch kann man jederzeit aus dem dicht gespannten Rhythmus heraustreten, den vorbeiziehenden Ideen beim zuhören, um irgendwann wieder zu aufzuspringen. Nicht nur aufgrund dieser offenen Form, sondern wegen seiner schieren Überwältigungskraft ist Dependent and Happy eine der essenziellen Platten dieses Jahres.
„Dependent and Happy“ von Ricardo Villalobos ist erschienen bei Perlon.