Mit seinem neuen Album hat sich Kid Rock wunderbar eingerichtet im Klischee des untergehenden Amerika. Sogar Obamas Herausforderer ist drauf reingefallen.
Barack Obama darf vier weitere Jahre regieren. Zu verdanken hat er das auch dem Entertainment-Betrieb. Denn während sich für den amtierenden US-Präsidenten Popinstitutionen wie Bruce Springsteen, Jay-Z, Stevie Wonder, Eddie Vedder und Katy Perry ins Zeug legten, musste sich Mitt Romney mit Musikern wie K’Naan herumschlagen, die ihm verboten, ihre Songs bei seinen Veranstaltungen zu verwenden.
Der Herausforderer konnte nur einen einzigen einigermaßen namhaften Musiker finden, der sich für ihn engagieren wollte: Kid Rock. Nun darf man sich allerdings fragen, wer von dieser Zusammenarbeit mehr profitiert hat. Denn während Romney die Wahl bekanntlich verloren hat, gewann Kid Rock zumindest an Bekanntheit. Der nutzt nun die im Wahlkampf entstandene Medienpräsenz und veröffentlicht nicht einmal zwei Wochen nach der Niederlage seines Kandidaten sein neues Album Rebel Soul. Das nennt man dann wohl geschicktes Crossmedia-Marketing.
Tatsächlich versteht es wohl niemand momentan so geschickt wie der als Robert Ritchie geborene Kid Rock, die altgedienten amerikanischen Klischees so aufzubereiten, dass sie trotzdem noch in die Zeiten passen. Auch Rebel Soul beschwört wieder ein Amerika, das entweder marginalisiert ist oder bereits lange nicht mehr existiert. Ein Amerika, in dem die Moderne lange noch nicht begonnen hat, in dem Mama kaum genießbare Krebs-Pasteten bäckt, in dem noch illegal Moonshine Whiskey gebrannt wird, aus dem Radio ein Honkytonk-Klavier schallt und ausladende Spritfresser die Straßen befahren.
Nicht zuletzt ein Amerika, in dem kräftig und politisch inkorrekt geflucht wird, weswegen auf dem neunten Studioalbum von Kid Rock wieder der berüchtigte Parental-Advisory-Sticker prangt, der auf dem Vorgänger Born Free zum ersten Mal in Kid Rocks Karriere gefehlt hatte.
Allerdings: Nicht nur im leicht melancholischen Song Redneck Paradise ist, wenn man nur will, eine vorsichtige Ironie zu erkennen. Aber vor allem musikalisch findet eine unerhörte Modernisierung statt. Auf Born Free hatte die Produzenten-Legende Rick Rubin noch versucht, Kid Rock auf seine Essenz einzukochen. Doch Rebel Soul hat der mittlerweile 41-jährige Ritchie selbst produziert.
Nun huldigt er im schluffigen Boogie God Save Rock’n’Roll zwar auch seiner allseits bekannten Verehrung für die Südstaaten-Rocker Lynyrd Skynyrd, erkundet ansonsten aber unbekanntes Terrain von der Motown-Verbeugung Detroit, Michigan bis zum luftigen Sommerpop von Midnight Ferry. Gern lässt Kid Rock auch flotte Funk-Riffs querfahren, offenbart hat er generell eine Vorliebe für modernen Hitparadenpop und jagt in letzter Konsequenz sogar seine eigene Stimme mithilfe des momentan so angesagten Autotune-Effekts in ungeahnte Höhen.
Nein, Kid Rock ist nicht mehr bereit, die ihm zugewiesenen Stereotype zu erfüllen, er ist nicht mehr bloß ein Hinterwäldler. Er spielt die alte Rolle allerdings immer noch sehr überzeugend. Zuletzt in einem kaum zehnminütigen Internetfilm namens Americans: In einer Kneipe kommt es zum Streit zwischen dem latzhosetragenden und biertrinkenden Kid Rock und Sean Penn, dem Vorzeige-Liberalen von Hollywood. Erst angesichts gefallener Soldaten in Afghanistan versöhnen sich der Schauspieler und der Musiker, die im echten Leben gut befreundet sind, und besuchen anschließend eine Schwulenhochzeit. Schließlich kauft Kid Rock sogar einen Toyota Prius, an dessen Heck er zwar sofort eine Halterung für sein Gewehr montiert, aber trotzdem wird sich Mitt Romney wohl fragen: Bin ich bloß benutzt worden?
„Rebel Soul“ von Kid Rock ist erschienen bei Atlantic/Warner.