Zwischen Billy Talent und Billy Idol: Das dritte Album der französischen Glamrock-Gruppe Shaka Ponk zeigt, dass eine phänomenale Liveband nicht auf einen Tonträger gepresst werden kann.
Stagediving ist meist die Folge eines atmosphärischen Prozesses. Von der Bühne ins Publikum zu tauchen erfordert eine gewisse Grundstimmung beiderseits der Kante. Ganz gleich, ob Zuschauer springen oder Bandmitglieder, Adressaten oder Absender – die Begeisterung muss sich folglich erst bis zu einem bestimmten Grad erhitzen, sonst droht ein harter Aufprall. Frah fällt nicht, er schwebt auf tausend Händen schwitzender, euphorisierter Fans, obwohl sein erster Sprung ins Pariser L’Olympia praktisch sofort erfolgt, nach wenigen Takten. Echtzeitdiving.
Und dafür braucht die singende Rampensau der französischen Crossover-Formation Shaka Ponk noch nicht mal sonderlich viel Mut. Frah, so lautet sein Künstlername, weiß ja, was vom Mosh-Pit unter ihm zu erwarten ist, hier, im legendärsten Club seiner Heimat. Nach Minuten war das Doppelkonzert im Herzen von Paris ausverkauft. Vor dem zweiten rangelten die Jünger der neuen Glamrockhelden bereits gegen Mittag um die besten Plätze. Und am Abend fieberte die Herde stundenlang dem Auftritt ihrer Heilsbringer entgegen. Dann endlich begann sie, die Show, und es wurde, neoliberal formuliert: abgeliefert.
Im Konzert sind Shaka Ponk eine Sensation. Die gewaltige Videoinstallation zeigt einen digital tanzenden Affen namens Goz auf runder Leinwand. Darunter berserkern sechs Entertainmentgeschöpfe mit Namen Bobee-O.D. oder C.C. wie in Zeitraffer über die Bretter. Und als strömten Amphetamine durchs Gebläse, berserkert der Saal in gleicher Frequenz mit, volle zwei Stunden. Zum Eröffnungsstück Shiza Radio, dem Untergroundhit, zu Run, Run, Run, das es trotz englischen Textes ins frankophile Radio geschafft hat, zu den Parolenhymnen Sex Ball, Let’s Bang, solchen Kalibern.
Das ist weitgehend sinnfreier Hochgeschwindigkeitshardpop zwischen Billy Talent und Billy Idol, AC/DC und Aerosmith, vertont von freundlichen Metalshirt-Trägern mit Überzeugungsvollbärten, gesungen vom lässigen Basecapskater Frah und der atemberaubenden Afromattenschönheit Sam – all dies ist in seiner Wucht der Wahnsinn und bringt selbst die Oberränge zum Hüpfen, dass die Hallenstatik gefährdet erscheint.
Bei so viel stroboskop-, gitarrensolo-, yeahyeahyeah- und LED-Wand-flankierter Energie ist Stagediving nicht optional, sondern systemimmanent. Wenngleich so sehr, dass sich der ungestüme Vortänzer Frah kürzlich im Nahkampfeinsatz das Knie verdreht hat. Die anstehende Tour mit Abstechern nach Deutschland, in dessen Hauptstadt Shaka Ponk vor Jahren „als kleine Rache am französischen Kulturpatriotismus geflohen sind“, wie Frah mit seiner Tochter im Arm nach dem Konzert erzählt, musste daher Richtung Herbst verschoben werden. Was wiederum spürbare Rezeptionsfolgen hat fürs dritte Album, das hierzulande ein Debüt ist.
Denn so furios Shaka Ponk live sind, so unvollkommen klingt The Geeks and the Jerkin‘ Socks als Album. Ohne den Dauerdruck gigantischer Boxentürme, ohne das ausgefeilte Artwork des früheren Grafikdesigners Frah, ohne die famose Bühnenpräsenz der Mitsängerin Sam, ohne das visuelle, akustische, sensorische Prinzip des wohl dosierten Überflusses wirkt das Studioprodukt haltlos, ein versiert produzierter, durchaus stimmungsvoller, aber leicht blutleerer Jingle für die aberwitzigen Rock’n’Roll-Events vor Publikum.
Man kann Frah also nur rasche Genesung wünschen. Und vielleicht noch, dass er sich beim Stagediving künftig zurückhält. Wobei das wohl auszuschließen ist.
„The Geeks and the Jerkin‘ Socks“ von Shaka Ponk ist erschienen bei Guess What.