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Am Abgrund der ollen Melodien

 

Ein Album für die angesagten Clubs der nicht so angesagten Städte: Die beiden popfeministischen Zwillinge Tegan & Sara verseifen alles Rohe, Alternative, das ihre Musik einst so großartig machte.

© Warner Music Group
© Warner Music Group

Im Kombiwort Fallhöhe stecken zwei Begriffe, die es – bewusst oder nicht – mindestens ein bisschen ambivalent machen: „Fall“ klingt ja zunächst mal irgendwie riskant, fast gefährlich. Allerdings nur, solange die „Höhe“ dabei entsprechend eindrucksvoll ist. Von Fallhöhe spricht man folglich, wenn der potenzielle Sturz von einem gewagten Niveau aus erfolgen könnte.

Mit ihrem aktuellen Studiowerk Heartthrob sind Tegan & Sara aus den luftigen Höhen des Pop-Olymps, den die eineiigen Zwillinge mit ihren vorigen Alben erklommen hatten, auf die Ebene einer handelsüblichen Styroporplatte hinabgestiegen. Der Sturz ist tief, nach alternativen Maßstäben sogar gewaltig, insgesamt jedenfalls ungeheuer bedauerlich.

Denn als die kreativen Quin-Schwestern vor gut fünf Jahren inmitten einer Reihe eigenproduzierter Alben und ungezählter Kollaborationen dank The Con ihren Durchbruch schafften, dessen Qualität sie 2009 mit dem Nachfolger Sainthood sogar noch übertreffen konnten, da feierte die globale Indieszene zwei Frauen Mitte 20, die einen kaugummibunten, aber durchaus gediegenen Wind durch etwas bliesen, was mal Electroclash getauft wurde. Das schrammte zwar schon damals um Haaresbreite am Hades des Eurodance vorbei, rang ihm aber Spielarten ab, die auf selbstbewusste Weise an Chicks on Speed, Miss Kittin, solche Sachen von Frauen auf bis dato männerdominiertem Terrain erinnerten. Also relevant waren. Tanzbar sowieso. Das sind sie bis heute. Auch auf Heartthrob, keine Frage.

Doch das gefühlt zwölfte Album der massenproduktiven ehemaligen Schülerinnenband lässt alles Rohe, alles Ungeschliffene, Alternative und Unabhängige bereitwillig vor der Majorlabeltür, um dahinter zwischen Snap! und Dr. Alban zu verseifen – immerhin sind sie noch nicht bei DJ Bobo angekommen, dafür sorgt immer noch der bisweilen unkonventionell blecherne Doppelgesang. Doch wenn Strophen „Come a little closer“ bitten, um „things physical“ zu machen, wenn Refrains zu Titeln wie Fool For Love von I’m not your hero oder „drove me wild“ sülzen, dann hat sich der Abstand zu klanglichen Referenzobjekten wie Peaches ungefähr auf die Distanz zwischen Heino und Rammstein vergrößert.

Wie gesagt: klingt alles gefällig, geht alles ins Bein, hat alles immer noch einen sonderbar popfeministischen Appeal, was auch an den zwei Hauptdarstellerinnen an Gitarre und Synthesizer liegt, die weiterhin diese kernige Ausstrahlung selbstgewisser Popgören haben. Dahinter aber tut sich ein Abgrund abgegriffener Melodien auf, die man allesamt schon vor 20 Jahren irgendwo als Coverversion einer Coverversion einer Coverversion gehört zu haben glaubt. Wir werden ein paar Stücke davon ohne Zweifel mal in den angesagten Clubs der nicht so angesagten Städte hören. Aber wollten Tegan & Sara das? Wahrscheinlich schon.

„Heartthrob“ von Tegan & Sara ist erschienen bei Warner.