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Schokopralinen mit Zyankalifüllung

 

Elena Tonra singt wie ein fallender Engel. Auf dem großartigen Debütalbum ihrer Band Daughter schüttet sie finsterste Texte in dahinströmenden Folkpop.

© Eliot Lee Hazel
© Eliot Lee Hazel

Dunkel ist das neue Hell, Folkpop das neue Black Metal. Elena Tonra schreibt abgrunddepressive Düstertexte. Die Songs ihrer Band Daughter verlieren sich aber nicht in zielloser Angst, münden nicht in schlappe Frühjahrsmüdigkeit, sondern meist in kraftvoll inszenierten Minidramen: besser Mut zur Verzweiflung als gar keine Courage.

Ja, gut, das ist ein bisschen arty. Tonra hat den Gitarristen, Arrangeur und Produzenten Igor Haefeli 2010 in London auf dem Konservatorium kennengelernt, sie wurden ein Paar. Der Schlagzeuger Remi Aguilella komplettiert sie zum Trio. Eine erste EP erschien im April, eine zweite im Oktober 2011. Jetzt sind sie bei 4AD unter Vertrag, dem Label von Bon Iver und The National.

Das Albumformat ist nicht mehr das Maß aller Dinge in der Download-Ära. Daughter haben schon ohne Longplayer einige Aufmerksamkeit erregt, waren bei David Letterman in der Show und in den Soundtracks von Grey’s Anatomy, Vampire Diaries und Skins zu hören, in Werbespots für die Tour de France und eine norwegische Fluglinie. Jetzt ist ihr erstes Album da und heißt If You Leave.

Darauf sind Songs wie Schokopralinen mit Zyankalifüllung: außen süße, schwere Melancholie, feine Melodik, satte Harmonien – innen bittere, giftige Texte. Besser bluten als gar nichts mehr spüren, heißt es da; zerstört die Mitte, sie ist Zeitverschwendung; „manchmal wünschte ich, ich wäre in meiner Mutter geblieben, um niemals rauszukommen“.

„In der Dunkelheit werde ich meine Schöpfer treffen / Und sie werden alle zustimmen: Ich bin ein Ersticker.“ Hallo? Sowas passt zu Bands mit Namen wie Gorgoroth oder Röchelnde Jungfrauen, aber doch nicht zu ein paar stylishen Londoner Konservatoriumsstudenten. Adäquater erscheint da schon eher der lapidare Bescheid an die Adresse des untreuen Geliebten: „Du machst mich krank, Liebster.“

Daughter – Still

Ein-Wort-Titel haben die zehn Songs allesamt, Winter, Smother, Amsterdam, Youth. So lakonisch sind die Arrangements nur bei oberflächlichem Hören; tatsächlich tut sich um Tonras aufgeraute Stimme eines fallenden Engels eine ganze Menge. Der Mann am Mischpult solle sich die Sängerin wie einen Leuchtturm vorstellen, gegen den das Meer brandet, hat die Band ihm angeblich gesagt. Manchmal droht Tonras brüchiger Gesang in der aufgewühlten See unterzugehen.

Auf den Wogen treiben zersplitterte Lagerfeuer-Klampfen, schillernde E-Gitarren-Teppiche und angeschrammte Drumsticks, der lange Hals eines Basses taucht auf wie das Ungeheuer von Loch Ness, Streicher segeln über den Horizont. In den Gischtkronen stieben Tropfen von Störgeräuschen aus Effektgerät und Elektronik. Die bedeutsamen Texte ragen heraus wie schroffe Klippen, an denen die Songs auch zerschellen könnten, meist aber eben noch die Kurve bekommen. „Unter der Haut ist ein Mensch / sehr tief drin ist ein Mensch / Allem zum Trotz bin ich immer noch menschlich / Ich glaube, ich sterbe hier.“

Im Freespace ihrer Website stellen Daughter Videokünstlern Konzertbilder und Remixern die Instrumentalspuren von Love zur Verfügung – ein Angebot, das vor allem Tonras Stimme zu zusätzlicher Verbreitung verholfen hat. Das zeigt: So zerbrechlich ihre Zeilen manchmal wirken – sie halten eine ganze Menge aus.

„If You Leave“ von Daughter ist erschienen bei 4AD/Beggars. Daughter im Konzert: 8. April Köln, 9. April Berlin, 15. April Hamburg, 16. April Frankfurt.