Zum 25. Geburtstag schenkt sich die alte Grunge-Band Mudhoney ein neues Album. Klingt wie immer, so rotzig, wie es in dem Genre eben möglich ist. Großartig.
Drei Sekunden, und leise kommt eine Ahnung auf. Dreißig mehr, und die Ahnung wächst zur Gewissheit. Drei Minuten, und alles erscheint fast wie früher. Dreißig weitere, und nichts ist, wie es war. Was, zugegeben, pathetisch klingen mag, beschreibt die emotionale Achterbahnfahrt beim Hören des neuen Albums von Mudhoney.
Kaum hat dieses Kollektiv des strukturierten Krachs, das stets im Schatten artverwandter Bands von Pearl Jam bis Nirvana stand, sein erstes Stück durch die Boxen gedroschen, wirkt alles wie 1989, als ihre EP Superfuzz Bigmuff einen Garagenrockstil namens Grunge begründete. Kaum ist aber nach neun weiteren die letzte Rückkopplung verklungen, der letzte Wortschwall erbrochen, das letzte Fell zerplatzt, ergreift den Hörer der ersten Stunde ein beklemmendes Gefühl, das alles schon zu kennen.
Zunächst ist es ein famoses Erlebnis, der zweiten derartigen Wiederkehr nach Soundgarden beiwohnen zu dürfen. Vanishing Point, so heißt das zwölfte Studioalbum von Mudhoney, beginnt in Slipping Away gleich mit dem Schlagzeugwirbel des Beckenberserkers Dan Peters, bis sein Gründungskollege Steve Turner die jahrzehntelang gestählten Kreischakkorde über den Bassteppich des Frischlings Guy Maddison legt und Mark Arm Punkparolen darüber kräht, als würde er noch heute stets schreiend zu Bett gehen.
Es ist der Auftaktfilm ganz großen Programmkinos. Und auch die folgenden Beiträge des nostalgischen tenfold features mit all den Tonfolgen, die nie in Riff oder Solo, Strophe oder Refrain unterscheidbar sind, klingen wie eh und je, so großartig, als wären Mudhoney nie weg gewesen.
Waren sie im Grunde ja auch nicht, höchstens kurzzeitlich überlappt vom pathossatten Bombast des Nu Metal. Nur einer war weg, ist weg, wird nie zurückkehren, und das ist ausgerechnet Mark Arm. In den guten Momenten des neuen Albums reicht seine Stimme knapp an die schlechten von einst (was im perfektionsfeindlichen Grunge fast ein Kompliment ist), in den schlechten jedoch wirkt sie fremd, fast abwesend. Dann erinnert ein musikalisch gelungenes Stück wie I Like It Small plötzlich an Iggy Pop auf Ritalin und das getragene What to Do with the Neutral an die Stooges im Altenheim.
Davon sind Mudhoney noch weit entfernt. Titel wie diese verweisen einmal mehr auf den Ursprungsimpuls des Grunge, der dem Mackergehabe tradierten Rocks einst ein paar Striche (in der Landschaft) durch die Rechnung gemacht hat.
Am Ende aber bleibt das Gefühl, Vanishing Point sei die digital überarbeitete Version des stilbildenden Albums Every Good Boy Deserves Fudge von 1991. Vielleicht muss man es deshalb kurz in den Kontext setzen: Vier Jahre zuvor waren sowohl Mudhoney als auch ihr Label Sub Pop gegründet worden, eine Art Walhalla alternativer Renitenz im Rock. Beide feiern dieser Tage offiziell ihr 25-jähriges Jubiläum.
Feiern wir also mit: Musiker, die noch immer das Rotzigste liefern, was in dem Genre geht und sogar mit 50 nach jedem Gig die Instrumente zerlegen. Feiern wir das Gute am Gestern. Es gibt schlechtere Anlässe.
„Vanishing Point“ von Mudhoney ist erschienen bei Sub Pop.