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Schwestern in Ekstase

 

CocoRosie machen sich die Welt, wie sie ihnen gefällt. Auf ihrem Kinderspielplatz ist ganz viel Liebe verbuddelt. Jetzt kann man sogar drauf tanzen.

© Rodrigo Jardon
© Rodrigo Jardon

Bloß nicht erwachsen werden, immer Kind bleiben. So will es Peter Pan, der Junge, der fliegen kann, zwischen Piraten und Wunschfeen lebt und mit den lost boys seine Spielchen spielt. In einer dunklen, überschminkten, surrealen Welt, zu der CocoRosie die Theatermusik geschrieben haben. Doch Robert Wilsons Inszenierung am Berliner Ensemble scheint nur das passende Vorprogramm für die neue Platte der Schwestern zu sein. Denn die Tales Of A GrassWidow erzählen von einem ganz eigenen Nimmerland voller lost boys und girls.

Ein Waisenkind bekniet eine Totengräberin, ein Loch zu schaufeln. Tief genug, um dort seine Liebe zu verschütten. Damit sie niemand stehlen kann und man immer weiß, wo sie zu finden ist. „Gravediggress dig me a hole I can bury, all of my love in, all of my holy„, singt Bianca Casady, ihre Schwester Sierra antwortet, die Stimmen werden eins, schweben davon wie verlorene Seelen.

Schwestern auch im Geiste scheinen die Casadys zu sein, doch liegt die Faszination ihrer musikalischen Zusammenarbeit vor allem in der Unterschiedlichkeit ihrer Charaktere. Da ist Bianca, die wilde New Yorkerin, die gern mal in Baggypants rappt, und da ist Sierra, die nach Paris auswanderte und als Gesangsstudentin Opernarien schmetterte. Zusammen gelten sie seit ihrem Debüt La Maison de Mon Rêve als Heldinnen des Weird und Queer Folk. Und als Freundinnen von Kinderspielzeug, das sie zum Musikmachen genauso gern verwenden wie eine Popcornmaschine oder ihren Föhn.

Auf ihrem fünften Album nähern sich die Künstlerinnen, die von Popoper über Tanztheater bis zur Ausstellung schon alles veranstalteten, nun den Rhythmen dunkler Nächte. Geradezu tanzbar boxt der Beatboxer Tez hier die Beats, der Produzent Valgeir Sigurðsson lässt bisweilen die elektronischen Maschinen durchklingen. Nicht ohne Harfe, Flöte, Klavier und Gitarre als stimmungsvolle Instrumente zu belassen.

CocoRosie – After the Afterlife

Tales Of A GrassWidow ist wohl das poppigste und eingängigste Album von CocoRosie geworden. Das ist in ihrem Kosmos aber keineswegs gleichbedeutend mit Banalität, sondern thematisiert vielmehr Tod, Einsamkeit oder die Frage nach dem Wohin – eindringlich, mit Beats untermalt. Das klingt mal nach Weinen auf dem Kinderspielplatz, mal nach dem Rauschen beim Tiefseetauchen und auf dem Hiddentrack gar nach durchtanzter Nacht im Technoschuppen. Oder auch einfach nach „transformativer Ekstase im Angesicht von Nachlässigkeit“, wie die Musikerinnen ihr Leitmotiv selbst beschreiben. Was auch immer sie damit meinen, dieser Ekstase kann man sich getrost hingeben. Zum Beispiel wenn ihr Kumpel Antony Hegarty in Tears for Animals der Mutter Natur seine sehnsuchtsvolle Stimme leiht, die die Frage stellt: „Do you have love for the human kind?

Ja, CocoRosie haben sie. Eine Liebe für Welten, wo das Gras vor dem Fenster einsamer Mädchen weht, wo Erfüllung in Gesprächen mit Spatzen liegt. Welten, in denen man trotz aller Einsamkeit immer Kind bleiben will. Und Spielchen spielen mit den lost girls.

„Tales Of A Grass Widow“ von CocoRosie ist erschienen bei City Slang.